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ZurückIn der Coronakrise wurde nicht nur die große Bedeutung der Plattformökonomie für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs sichtbar. Sichtbar wurden auch die Nachteile dieser hyperflexiblen Vermittlungsform mit oft prekärer Beschäftigung. Das hat die Dringlichkeit gerechter und fairer Regulierung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten jedoch einmal verdeutlicht – die Zeit ist reif für eine Plattformarbeits-Richtlinie.
Arbeit, die über Plattformen vermittelt wird, hat sich in den letzten Jahren stark verändert, hat quantitativ zugenommen und umfasst nun sehr unterschiedliche Dienstleistungen. Lange Zeit wurde die Entwicklung der Gig-Economy-Geschäftsmodelle als Inbegriff digitaler Innovation wahrgenommen. Über Plattformen werden mittlerweile tatsächlich auch viele Aspekte des Alltags organisiert. Die Arbeit dahinter kann, so die vorherrschende Meinung, flexibel gestaltet und von der Lage und dem Volumen her an die Bedürfnisse der Plattformbeschäftigten angepasst werden. Jene, die via Plattformen tätig sind, leisten ihre Arbeit jedoch unter rechtlich unklaren und sozial unsicheren Umständen: Zum Beispiel zum Bereinigen und Ordnen von Datenbanken, Erbringen von Übersetzungsleistungen oder kreativen Diensten, Zuteilen von Reinigungsaufträgen oder Zustellen von Paketen, Grundnahrungsmitteln oder frisch Gekochtem sowie Personen durch die Stadt fahren.
Gerade die Plattformwirtschaft reizt die Grauzonen zwischen rechtlich abhängiger und selbstständiger Beschäftigung aus. Damit fällt eine wachsende Gruppe von diesen Erwerbstätigen aus dem Geltungsbereich des Arbeitsrechts. Gewerkschaften äußern schon seit Jahren massive Bedenken hinsichtlich der Umgehung des Sozialschutzes, der Steuergesetze und vor allem des Arbeits- und Sozialrechts. Plattformen gehen undifferenziert davon aus, dass es sich bei den von ihnen „Beauftragten“ um Selbstständige handle. So kommen keine Mindestentgeltbestimmungen und Kollektiv- bzw. Tarifverträge zur Anwendung, die Entgelte sind niedrig, und es liegen massive Diskriminierungspotenziale durch den Einsatz algorithmischer (Rating-)Systeme vor.
Innerhalb der EU-Institutionen gibt es in jüngerer Zeit ein wachsendes Bewusstsein für Probleme, die mit der Plattformarbeit verbunden sind. Die zuletzt beschlossene arbeitsrechtliche Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen enthält in den Erwägungsgründen zumindest den Hinweis, dass Plattformbeschäftigte bei Erfüllung relevanter Kriterien als ArbeitnehmerInnen anzusehen sind. Eine Änderung ist durchaus auf der politischen Agenda, das Thema findet sich auch in den Politischen Leitlinien für die Europäische Kommission 2019–2024 von deren Präsidentin von der Leyen: „Der digitale Wandel bringt rasche Veränderungen mit sich, die sich auf unsere Arbeitsmärkte auswirken. Ich werde prüfen, wie die Arbeitsbedingungen von auf Online-Plattformen Beschäftigten verbessert werden können, insbesondere im Hinblick auf Kompetenzen und Bildung.“
Mit ihrem Fahrplan „Improving working conditions of platform workers“ verspricht die EU-Kommission, im Jahr 2021 einen Legislativvorschlag vorzulegen. Dieser weist aktuell in die Richtung, dass für die Gruppe der Plattform-Selbstständigen Ausnahmen aus dem EU-Wettbewerbsrecht geschaffen werden können, sodass diese ihre Arbeitsbedingungen kollektiv verhandeln können. Das wäre jedoch eine ausschließlich der Interessenlage der tatsächlich Selbstständigen angemessene Lösung, die wirtschaftlich unabhängig agieren können. Fest steht, dass für die wachsende Gruppe an schutzbedürftigen wirtschaftlich Abhängigen, die in der Plattformbranche tätig sind, eine andere, generelle Lösung gefunden werden muss. Diese kann entweder in einer Neudefinition des Arbeitnehmer*innen-Begriffes, der auch auf wirtschaftliche Elemente abstellt, gefunden werden oder durch eine Ausweitung jener Normen, die auf arbeitnehmer*innenähnliche Personen anzuwenden sind. Eine ausführliche Analyse des Status quo und der Regulierungspotenziale findet sich in einer Studie, die im Auftrag von AK Wien, ÖGB, ETUI und ETUC erarbeitet wurde. Die bekannten plattformspezifischen Probleme rechtfertigen zudem eine eigene Plattformarbeits-Regulierung auf EU-Ebene. Konkrete Vorschlage, wie eine solche Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten ausgestaltet werden könnte, finden sich in diesem aktuellen AK EUROPA Policy Brief.
Weitführende Informationen:
A&W Blog: Plattformarbeit: warum es eine EU-Plattformarbeits-Richtlinie braucht - A&W
AK EUROPA: Policy Brief Platform Work (nur auf Englisch)
AK EUROPA: Rechtsakt zu digitalen Märkten: AK fordert Nachschärfungen