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ZurückIm Rahmen einer Abendveranstaltung zeigten AK EUROPA, ÖGB Europabüro und DGB am 14.11.2019 Perspektiven für europäische Mindeststandards in der Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung auf. Der Zeitpunkt war gut gewählt, schließlich fand die Veranstaltung kurz vor dem zweiten Geburtstag der Europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR) statt und gab dementsprechend wichtige Impulse für die neue europäische Legislaturperiode.
Oliver Röpke, Leiter des ÖGB Europabüros und Präsident der ArbeitnehmerInnengruppe im EWSA, verwies auf die Aktualität der Veranstaltung vor dem Hintergrund der ESSR und unterstrich, dass die Gewerkschaften auf die konkrete Umsetzung der Säule drängen. Besonders für die Grundsätze 13 (Arbeitslosenleistungen) und 14 (Grundsicherung) der Säule brauche es rechtlich verbindliche Mindeststandards. Im Hinblick auf die neue Kommission und den angekündigten Aktionsplan gehe es nun darum, Themen zu setzen und Vorschläge einzubringen, um das Ziel der sozialen Aufwärtskonvergenz konsequent zu verfolgen.
Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Transformationsprozesse auf dem Arbeitsmarkt, hervorgerufen durch Klimawandel, Digitalisierung und eine älter werdende Gesellschaft, forderte Ingrid Reischl, leitende Sekretärin des ÖGB, dass soziale Sicherungssysteme wetterfest gemacht werden müssten. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung brauche es europäische Mindeststandards in vier Bereichen: Höhe und Dauer sowie Abdeckung (Erfassungsrate) des Arbeitslosengeldes gepaart mit Maßnahmen im Bereich der Weiterbildung. Letztere dürfe kein „nice-to-have“ sein, sondern müsse als Rechtsanspruch mit finanzieller Unterstützung verbrieft werden.
Alice Kundtner, stellvertretende Direktorin und Bereichsleiterin Soziales der AK Wien hielt fest, dass sich die Forderung nach Mindeststandards in der Arbeitslosenversicherung vom Kommissions-Vorschlag der europäischen Arbeitslosenrückversicherung unterscheide. Mindeststandards seien auch aus wirtschaftlicher Perspektive sinnvoll, da sie sich positiv auf den privaten Konsum auswirken und gleichzeitig die soziale Sicherheit verbesserten. Mit Hinblick auf die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten brauche es eine verbindliche EU-Richtlinie. Für die Höhe des Arbeitslosengeldes verwies Kundtner auf OECD-Daten und forderte eine Nettoersatzrate von 75% des vorherigen Einkommens als Mindeststandard. Dieser soll nach einem Jahr Beschäftigung Anspruch gewähren und für ein weiteres Jahr ausbezahlt werden. Bei der Grundsicherung gelte es zu bedenken, dass viele Menschen diese Leistung auf Grund von Stigmatisierung und der Angst vor Verlust des Eigentums gar nicht erst beantragen würden. Robuste Versicherungsleistungen, kombiniert mit Weiterbildungspolitik, vermindere die Zahl derer, die Grundsicherung bräuchten und seien das wirkungsvollste Rezept für einen Wiedereinstieg in passende Beschäftigungsmöglichkeiten.
Barbara Kauffmann von der Generaldirektion Beschäftigung und Soziales (Europäische Kommission) verwies auf das Benchmarking der Kommission im Bereich der Arbeitslosenversicherung, das einen wichtigen Beitrag zur EU- weiten Beobachtung der Sozialstandards leiste. Es sei wichtig, die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zunächst zu erfassen, um daraus Referenzwerte ableiten zu können. Das Benchmarking setze das Thema auf die Agenda der Mitgliedsstaaten, die daraufhin vermehrte Anstrengungen unternähmen. Hinzu kämen die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters. So wurde Ungarn zum Beispiel eine Verbesserung der Arbeitslosenleistungen empfohlen. Kauffmann räumte ein, dass sich Mindeststandards positiv auswirken könnten, unterstrich aber den derzeit bestehenden Flickenteppich der Regelungen in den Mitgliedsstaaten. Mindeststandards seien im Zuge der Schaffung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung denkbar.
Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands, sprach sich klar für eine EU-weite existenzsichernde und menschenwürdige Grundsicherung aus und forderte eine EU-Rahmenrichtlinie. Sie rief in Erinnerung, dass unzureichende Sozialleistungen Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen ausüben. Schließlich würden Menschen dazu gedrängt, jeden Job zu allen Konditionen anzunehmen. Bezüglich der Höhe der Grundsicherungsleistungen gäbe es EU-weit keine „one-fits-all“-Lösung. Neben der Rechtsverbindlichkeit bedürfe es daher Methodiken, die die Höhe der Grundsicherung passgenau errechnen. Mit Verweis auf ein Gutachten des DGB und der deutschen Nationalen Armutskonferenz argumentierte Buntenbach, dass die EU durchaus Kompetenzen habe, sozialpolitische Mindeststandards auf den Weg zu bringen. Es fehle der politische Wille.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Common minimum standards for unemployment insurance schemes in EU Member States
A&W Blog: Europa sozialer machen: Mindeststandards für die Arbeitslosenversicherung
DGB Stellungnahme zur Einführung europäischer Mindeststandards bei der Grundsicherung
EWSA: Policy Brief on Common Minimum Standards for Unemployment Insurance