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ZurückNach einem zähen und wochenlangen Ringen einigte sich der Europäische Rat am 21. Juli 2020 auf das größte Budget- und Finanzpaket der EU-Geschichte. Auch wenn auf Druck der „frugalen Vier“ Zuschüsse in wichtigen Bereichen gekürzt wurden, ist das gemeinsame fiskalpolitische Instrument ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Seit die Kommission am 27. Mai 2020 ihren Vorschlag zu einem Wiederaufbauplan vorgelegt hat, verhandelte der Europäische Rat über eine diesbezügliche Einigung. Neben einem Aufbaufonds unter dem Namen „Next Generation EU“ umfasst der Plan auch einen Vorschlag zum (modifizierten) Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027. Bei den Verhandlungen zu Letzteren waren die Fronten bereits vor der Coronakrise verhärtet. Nach dem beinahe längsten Gipfeltreffen des Europäischen Rates verkündete EU-Ratspräsident Charles Michel in den frühen Morgenstunden des 21. Juli 2020 schließlich dennoch: „Deal!“. Der Weg dorthin war allerdings äußerst steinig. Neben den „frugalen Vier“ – Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande – die sich gegen direkte Zuschüsse an die Mitgliedstaaten ausgesprochen hatten, waren es Polen und Ungarn, die sich gegen eine Verknüpfung der Mittel mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit stemmten.
Der Vorschlag der Kommission
Der Vorschlag der Kommission war durchaus ambitioniert. Im Rahmen des Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ sollte den besonders betroffenen Staaten und Regionen finanzielle Hilfe in Form von Zuschüssen und Krediten zukommen. Nötig wäre das nicht zuletzt, um die wirtschaftlichen Folgen für den Europäischen Binnenmarkt abzumildern. Von den Unterstützungen für jene Länder, die im Rahmen der Pandemie besonders hart getroffen wurden – allen voran Italien und Spanien – würden auch die exportorientierten Mitgliedsstaaten profitieren. Für den Wiederaufbaufonds sah die Kommission deshalb ein Volumen von insgesamt 750 Mrd. Euro vor. Davon sollten 500 Mrd. in Form von Zuschüssen zur Verfügung gestellt werden, 250 Mrd. in Form von günstigen Krediten. Im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 wurden darüber hinaus weitere 1,1 Billionen Euro veranschlagt.
Der Deal
Mit insgesamt rund 1,8 Billionen deckt sich der Umfang des nun vom Europäischen Rat beschlossenen Pakets relativ genau mit den ursprünglichen von der Kommission vorgeschlagenen Zahlen. Beim „Next Generation EU“-Instrument bleibt es bei einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden, geändert hat sich allerdings die Aufschlüsselung zwischen Zuschüssen und Krediten. So wurde die Höhe der Zuschüsse auf Druck der „sparsamen Vier“ auf 390 Milliarden gesenkt, die restlichen 350 Milliarden werden in Form von Krediten ausgegeben.
Aufgrund der Ratsschlussfolgerungen ergeben sich teils starke Auswirkungen aufgrund der Kürzung der Zuschüsse. So wurden beispielsweise die Mittel für den Fonds für einen gerechten Übergang, der unter anderem die wirtschaftlichen Konsequenzen für die von einem Kohleaussteig besonders betroffenen Regionen abfedern soll, von 40 Milliarden Euro auf 17,5 Milliarden zusammengestutzt. Die Finanzierung für das Ende Mai 2020 noch groß angekündigte Gesundheitsprogramm EU4Health, das einen Paradigmenwechsel in der EU-Gesundheitspolitik einläuten sollte, wurde im Rahmen des Aufbaufonds komplett gestrichen. Übrig bleiben damit nur die im Rahmen des MFRs budgetierten 1,7 Milliarden Euro. Der Vorschlag, die EU-Förderungen an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, findet sich in der vorliegenden Vereinbarung nur noch äußerst vage formuliert wieder.
Am Plan, die Rückzahlung der Schulden komplett über die Generierung zusätzlicher Eigenmittel zu stemmen, wird hingegen weitestgehend festgehalten. So heißt es in der Ratsschlussfolgerung die Kommission werde „als zusätzliche Eigenmittel (…) im ersten Halbjahr 2021 Vorschläge zu einem CO2-Grenzausgleichsmechaismus und zu einer Digitalabgabe vorlegen, die bis spätestens 1. Januar 2023 eingeführt werden sollen“. Auch die mögliche Einführung einer Finanztransaktionssteuer wird erwähnt. Ob es abgesehen von einer wenig ertragreichen Plastiksackerlsteuer zu einer Einführung dieser geplanten neuen Eigenmittel kommt, ist allerdings mehr als fraglich. Denn die EU-Steuern können erst dann eingehoben werden, wenn die Eigenmittel von allen Mitgliedstaaten akzeptiert und beschlossen wurden. Ist nur ein Land dagegen, dürfte es noch zu hitzigen Diskussionen im Rat kommen, wie die Rückzahlung des aufgenommenen Kapitals ab 2028 erfolgen soll. In dem Fall würde eine deutliche Erhöhung der EU-Mitgliedsbeiträge drohen.
Unzufriedenheit im Europäischen Parlament
Der Vorschlag muss auch noch durch das EU-Parlament angenommen werden. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber drohte im deutschen Fernsehen indirekt mit einem Veto, sollte die Konditionalitäten im Bereich Rechtsstaatlichkeit nicht zufriedenstellend sein: „Das wird für uns im Parlament ein zentraler Prüfstein werden“. Der SPÖ-Europaabgeordnete Andreas Schieder bedauerte in einer ersten Reaktion neben den Abstrichen beim Thema Rechtsstaatlichkeit auch jene im Bereich Klimaschutz sowie bei der Gesundheits- und Forschungspolitik. „Der nach tagelangen Verhandlungen zusammengeschusterte Minimalkompromiss wird dem Ausmaß der Krise vor der wir stehen nicht gerecht“, so Schieder. Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen Fraktion Ska Keller begrüßte die Einigung, sprach aber von einer „langen Liste von schlechten Nachrichten“. In einer Entschließung sprach sich am Donnerstag, dem 23 Juli 2020, eine deutliche Mehrheit der EU-Abgeordneten gegen den Ratsbeschluss aus.
Positives Fazit
Trotz aller Abstriche ist die Tatsache, dass sich die EU im Rahmen des vorgelegten Wiederaufbaupakets erstmals zu einer direkten Fiskalpolitik bekennt, ein großer Schritt in Richtung einer gemeinsamen wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik. Erfreulich ist, dass ausgerechnet das Herzstück des Aufbauplans, die Aufbau- und Resilienzfazilität zugunsten der am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten sogar noch aufgestockt wurde. Wichtig ist jetzt vor allem, dass die Fördermittel rasch fließen, denn nur so kann eine konjunkturelle Wirkung sichergestellt werden. Erfreulich ist auch die geplante Generierung von Eigenmittel durch die Einführung der lang überfälligen Plastik- und Digitalsteuern sowie durch CO2-Ausgleichszahlungen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob wirklich alle EU-Mitgliedsstaaten ihre Zustimmung dazu geben werden. Die ursprünglich vorgeschlagene Besteuerung von großen Unternehmen findet hingegen bedauernswerterweise keine Erwähnung mehr. Schmerzhaft ist auch, dass die von der österreichischen Bundesregierung als Erfolg präsentierten Kürzungen der Zuschüsse ausgerechnet wichtige Bereiche wie den sozial gerechten Übergang, Investitionen oder die Forschung treffen. Damit fehlen genau jene Mittel, die den grünen Übergang und den damit verbundenen Strukturwandel sozial verträglich abfedern sollen. „Das Ergebnis geht also auf Kosten der Zukunftsperspektiven von AbeitnehmerInnen und Regionen“, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der auch die Befürchtung äußert, dass dies die soziale Stabilität in Europa weiter gefährden könnte.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Die Stunde Europas - Kommission stellt Wiederaufbauplan vor