Nachrichten

Zurück

Diese Woche hielt der luxemburgische Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg seine jährliche „Rede zur Lage der Europäischen Union“. Die Rede war in Brüsseler Kreisen und darüber hinaus mit Spannung erwartet worden, nicht zuletzt auch von der europäischen Gewerkschaftsbewegung.

 

Rund 16 Monate vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament (Frühsommer 2019) wollte der EU-Kommissionspräsident die Gelegenheit nutzen, um auf der Zielgerade seiner Amtszeit noch einmal mutige Vorschläge zu präsentieren, wie Europa seine zahlreichen Herausforderungen bewältigen kann.

 

Das Zeitfenster für mutige Schritte, so Juncker, sei gut, da die Wirtschaftsdaten günstig seien. So sei das Wirtschaftswachstum sowohl in den EU28 als auch in der Eurozone höher als in den USA. Die Arbeitslosigkeit sei gesunken, fast 8 Millionen Jobs seien geschaffen worden.

 

Juncker listete in seiner rund 90-minütigen Rede eine lange Liste von Vorhaben auf. Eine gewerkschaftliche Ersteinschätzung sieht einige der Vorhaben Junckers durchaus positiv. Der Europäische Gewerkschaftsbund hatte sich im Vorfeld offensiv in die Debatte um die Zukunft Europas eingebracht. Zwei gewerkschaftliche Kernforderungen fanden sich auch in der Rede Junckers wieder.

 

So soll das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ endlich durchgesetzt und eine europäische Arbeitsaufsicht geschaffen werden. „In einer Union der Gleichen kann es keine Arbeitnehmer zweiter Klasse geben. Menschen, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, sollten das gleiche Gehalt bekommen“, so Juncker wörtlich. Damit will Juncker sich nicht nur für einen erfolgreichen Abschluss der langwierigen und schwierigen Verhandlungen zur Entsende-Richtlinie stark machen. Er fordert zudem die Schaffung einer neuen europäischen Aufsichts- und Umsetzungsbehörde, einer so genannten europäischen „Arbeitsbehörde“. Es sei absurd, dass es eine Bankenaufsicht gebe, aber keine Arbeitsaufsichtsbehörde, so Juncker.

 

Die Einführung einer derartigen Behörde wäre ein großer Fortschritt, wenn sie zusätzlich zu den nationalen Kontrollbehörden endlich eine bessere grenzüberschreitende Kontrolle und Durchsetzung von ArbeitnehmerInnenrechten sicherstellen und Strafen gegen Verstöße durchsetzen würde. Dies wäre ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung des Sozialdumpings und ist eine langjährige gewerkschaftliche Forderung. Abzuwarten bleibt, wie diese Behörde ausgestaltet werden soll.

 

Auch auf die Europäische Säule sozialer Rechte ging Juncker in seiner Rede ein. Sie soll spätestens beim sogenannten Sozialgipfel am 17. November 2017 in Göteborg offiziell verabschiedet werden. Die EU muss zumindest eine Europäische Union der Sozialstandards sein, mit einem Konsens darüber, was sozial fair und was unfair ist, so Juncker in seiner Rede. „Wenn Europa gelingen soll, darf es den ArbeitnehmerInnen nicht die kalte Schulter zeigen“, betonte der Kommissionspräsident Auch dies entspricht zumindest in Ansätzen der gewerkschaftlichen Forderung, dass die Soziale Säule nicht nur heiße Luft bleiben darf, sondern konkret umgesetzt werden muss. Dazu braucht es einen konkreten Aktionsplan, wie die in der Sozialen Säule festgehaltenen Prinzipien in konkrete und spürbare Ergebnisse für die ArbeitnehmerInnen Europas umgesetzt werden können.

 

Weitere Themen, die Juncker in seiner Rede behandelte, waren neben anderen die Zukunft der Handelspolitik, die neue industrielle Strategie für Europa inklusive des Vorschlags der Kommission, ausländische Nicht-EU-Direktinvestitionen einem Screening zu unterziehen, und neue Vorhaben im Bereich der Migrationspolitik.

 

Besonders interessant war auch eine von Juncker präsentierte Idee zur Überwindung der Einstimmigkeit im Bereich der Steuerpolitik. Hier ist seit vielen Jahren zu beklagen, dass entscheidende Fortschritte beim Steuerdumping immer wieder an der erforderlichen Einstimmigkeit im Kreis der Wirtschafts- und FinanzministerInnen scheitern. Juncker schlägt hier die Inanspruchnahme der in den EU-Verträgen vorgesehenen sogenannten Brückenklausel vor. Diese sieht vor, dass durch einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs die FinanzministerInnen ermächtigt werden können, steuerpolitische Maßnahmen in Zukunft mit qualifizierter Mehrheit zu verabschieden. Als Beispiele nannte er hier die Finanztransaktionssteuer, die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, sowie die Besteuerung digitaler Unternehmen. Sollte dieser Schritt tatsächlich gelingen, wäre dies ein wesentlicher Schritt vorwärts, um auch auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung für mehr Solidarität in Europa zu sorgen.

 

Weiterführende Informationen:

Themenhomepage der Kommission zur "Lage der Union" (inkl. Video der Rede).

Alternative Rede zur „Lage der Union“ des Europäischen Gewerkschaftsbunds