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ZurückIm Rahmen von Handels- und Investitionsabkommen werden immer wieder Versuche unternommen, die staatlichen Möglichkeiten zu Regulierungen im öffentlichen Interesse zu beschneiden. Im Zuge der nun von der Europäischen Kommission gestarteten Überarbeitung der EU-Handelspolitik sollte auch klargestellt werden, dass öffentliche Dienstleistungen von Handelsabkommen ausgenommen bleiben müssen.
Am 15. Juni 2020 trafen sich zahlreiche VertreterInnen von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu einem Online-Austausch über die Wahrung der öffentlichen Interessen beim globalen Handel mit Dienstleistungen. Bei dem Treffen, das vom Verband der europäischen Dienstleistungsgewerkschaften (EPSU) gemeinsam mit AK EUROPA und dem ÖBG Europabüro organisiert wurde, sprachen unter anderem der Rechtswissenschaftler Prof. Markus Krajewski und Oliver Prausmüller, Experte der Arbeiterkammer Wien.
Kommerzielle vs. öffentliche Interessen
Der Schwerpunkt der Online-Veranstaltung lag auf dem Thema der staatlichen Regulierungen und deren möglicher Beschränkungen durch Handelsabkommen. Nachdem frühere Versuche dazu gescheitert sind, arbeiten 33 Mitgliedsstaaten auf WTO-Ebene seit 2017 daran, Regulierungen im öffentlichen Interesse – insbesondere auch hinsichtlich Leistungen der Daseinsvorsorge – zu unterbinden und kommerziellen Interessen Vorrang einzuräumen. Ähnliche Vorstöße für mehr „Unternehmensfreundlichkeit“ waren sowohl im Zuge der Verhandlungen um das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA) als auch in aktuellen Verhandlungen um bilaterale und regionale Handels- und Investitionsabkommen zu beobachten.
Auf WTO-Ebene soll das Thema bei der 12. MinisterInnenkonferenz diskutiert werden, welche eigentlich vom 8. bis zum 11. Juni in Nur-Sultan, der Hauptstadt Kasachstans, stattfinden hätte sollen, auf Grund der Coronakrise jedoch verschoben werden musste. Momentan wird über den Vorschlag Kasachstans diskutiert, die Konferenz im Juni 2021 nachzuholen. Im Vorfeld hatten im Mai 2019 insgesamt 59 Staaten auf WTO-Ebene eine Erklärung unterzeichnet, in welcher die Fortschritte hinsichtlich der Einschränkungen innerstaatlicher Regulierung begrüßt wurden und sich die UnterzeichnerInnen dazu verpflichteten, bis zur MinisterInnenkonferenz auch an einer Lösung der noch offenen Fragen zu arbeiten. Die Tatsache, dass die Verhandlungen in diesem Bereich höchst intransparent ablaufen, macht eine kritische Beobachtung und Bewertung der Pläne durch Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft umso wichtiger. Die Verhandlungen zu TiSA liegen zwar seit Jahren auf Eis, nach der US-Wahl im November 2020 könnte sich aber auch das wieder ändern.
Öffentliche Dienstleistungen als Kernelemente des demokratischen Sozialstaats
Im Rahmen seiner Präsentation gab Prof. Krajewski einen Überblick über relevante Fragen und Entwicklungen sowie einen Ausblick über eine sich in Arbeit befindliche Publikation. In dieser befasst er sich mit den verschiedenen Arten von Einschränkungen und ihren potentiellen Auswirkungen auf die Regulierung im öffentlichen Interesse. Verschiedene mögliche Lösungen und Schutzmaßnahmen wurden in diesem Zusammenhang ebenso diskutiert wie die Aufnahme einer Klausel zum öffentlichen Interesse in Dienstleistungsabkommen. Die Arbeiterkammer fordert diesbezüglich eine vollständige und rechtssichere Ausnahme von öffentlichen Dienstleistungen aus Handels- und Investitionsabkommen. Öffentliche Dienstleistungen – wie etwa die Energie-, Wasser- und Gesundheitsversorgung – sollten als Kernelemente eines demokratischen Sozialstaates allen BürgerInnen zugänglich sein und nicht der Willkür des Marktes überlassen werden. Wie eine entsprechende Klausel dazu aussehen könnte, wurde 2016 bereits in einer gemeinsamen Studie von EPSU und AK EUROPA ausgearbeitet.
Brexit und andere Abkommen
Die Frage der innerstaatlichen Regulierung spielt auch in bilateralen Handelsabkommen eine Rolle. Eines der Freihandelsabkommen, die man in dieser Hinsicht unbedingt im Blick behalten sollte, ist laut Prof. Krajewski das angestrebte Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Wie Tom Jenkins, Experte des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), anmerkte, seien die Verhandlungen in diesem Bereich gerade deshalb so außergewöhnlich, weil es nicht um die Frage der größtmöglichen Annäherung zweier VerhandlungspartnerInnen ginge, sondern um die Frage, wie weit sich die EU und eines ihrer ehemaligen Mitglieder voneinander entfernen werden. Das Thema Dienstleistungen spiele hier aber bisher eine eher untergeordnete Rolle. Abseits der Verhandlungen um den Brexit dürfe man aber auch nicht die Verhandlungen um entsprechende Abkommen mit Australien, Neuseeland, Chile und China aus dem Auge verlieren.
Handelspolitische Situation
Die von EPSU, AK und ÖGB organisierte Veranstaltung fällt in eine handelspolitisch äußerst turbulente Zeit. Temporäre Ausfuhrkontrollen auf persönliche Schutzausrüstung, Lieferengpässe für Medikamente und eine breite Diskussion um die Widerstandsfähigkeit globaler Lieferketten – die EU sieht sich im Rahmen der Coronakrise mit einer breiten Palette an Herausforderungen konfrontiert. Auch aus diesem Grund startete die Europäische Kommission am 16. Juni 2020 eine umfassende Überprüfung der Europäischen Handelspolitik, in deren Rahmen es auch zu einer öffentlichen Konsultation des Europäischen Parlaments, der Mitgliedsstaaten, Interessensgruppen und der Zivilgesellschaft kommen soll. Dadurch erhofft sich die Kommission breite Zustimmung für eine mittelfristige Neuausrichtung ihrer Handelspolitik. Laut Handelskommissar Phil Hogan soll die Konsultation dabei helfen, einen „maßgeschneiderten handelspolitischen Ansatz der EU in der Post-Corona Welt zu entwickeln“.
Der Posten des EU-Handelskommissars könnte bald vakant werden, da sich Hogan nach dem überraschenden Rücktritt des bisherigen WTO-Generaldirektors Roberto Azevêdo selbst ins Rennen um eine mögliche Nachfolge gebracht hat. Auch hinsichtlich dem Handel mit Dienstleistungen könnte die nun gestartete Überprüfung der EU-Handelspolitik eine Chance darstellen, den Schutz der öffentlichen Dienstleistungen endlich zu garantieren und auf die Auseinandersetzung mit dringenden Herausforderungen – wie etwa der Klimakrise – zu pochen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Öffentliche Dienstleistungen haben in Handelsabkommen nichts zu suchen
AK EUROPA: Model clauses for the exclusion of public services from trade and investment agreements
A&W Blog: Handelsabkommen TiSA: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben