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ZurückDiesmal war keine Marathonsitzung notwendig, damit sich die Staats- und RegierungschefInnen beim Europäischen Rat am 11. und 12. Dezember 2020 in Brüssel bei einem wichtigen Thema einigen konnten: So fand sich unter den VertreterInnen der Mitgliedstaaten relativ zügig ein Kompromiss zum Mehrjährigen Finanzrahmen und der damit verknüpften Rechtsstaatlichkeitsklausel, welcher ab 1. Jänner 2021 angewendet werden soll – zumindest in der Theorie.
In der Schlusserklärung des Europäischen Rates halten die Staats- und RegierungschefInnen der 27 Mitgliedstaaten fest, dass der Mehrjährige Finanzrahmen 2021-2027 (MFR) sowie der Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“, die gemeinsam mehr als 1,8 Billionen Euro umfassen, vor „jeder Art von Betrug, Korruption und Interessenkonflikten“ zu schützen sind. Der hierfür vorgesehene Rechtsstaatsmechanismus, auf den sich die VertreterInnen von Rat und Europäischem Parlament am 5. November 2020 verständigt hatten, bleibt unverändert. Damit können Mitgliedstaaten Gelder gestrichen werden, wenn sie demokratische Grundwerte verletzen. Hierzu muss die Kommission zuerst ein Verfahren einleiten, um die Frage zu prüfen, ob Grundwerte verletzt werden. Falls sie zu diesem Schluss kommen sollte, würde von Seiten des Europäischen Rates eine qualifizierte Mehrheit genügen, also mindestens 15 der 27 Mitgliedstaaten, um die Verletzung der Grundwerte zu bestätigen und so das Fließen der Gelder zu unterbrechen.
Um die zur Verabschiedung des MFR sowie dieses Mechanismus erforderliche Einstimmigkeit beim Europäischen Rat – und damit auch die Zustimmung von Polen und Ungarn – zu erreichen, beauftragen die Staats- und RegierungschefInnen nun die Kommission zusätzlich, Grundsätze zur Anwendung des Rechtstaatlichkeitsmechanismus in Form von Leitlinien zu erstellen, damit dieser Rechtsstaatlichkeitsmechanismus „objektiv, fair, unparteiisch und faktengeschützt“ ist. Darüber hinaus ist in den Schlussfolgerungen ausdrücklich das Anrufen des Europäischen Gerichtshofs als Möglichkeit angeführt, die Rechtmäßigkeit dieses Mechanismus zu überprüfen. Sollte dies der Fall sein, wären allfällige Erkenntnisse in den Leitlinien der Kommission einzuarbeiten.
Polen und Ungarn sind die beiden Länder, die lange ein Veto gegen den Rechtstaatlichkeitsmechanismus und damit den gesamten Haushaltsplan eingelegt hatten. Mit der nun gefundenen Kompromisserklärung haben die beiden Länder vor allem Zeit gewonnen, denn Verfahren beim Europäischen Gerichtshof können sich bekanntlich über Jahre ziehen. Damit können die beiden Staaten, die wegen ihres Demokratieverständnisses regelmäßig für negative Schlagzeilen sorgen, gleichzeitig aber am meisten Mittel aus dem EU-Haushalt erhalten, jedenfalls Zuwendungen aus dem EU-Haushalt erhalten, ehe der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus gegen sie in der Praxis auch durchgesetzt werden kann.
Im Europäischen Parlament verteidigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 16. Dezember 2020 den Kompromiss und versicherte, dass alle Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, die ab 1. Jänner 2021 begangen werden, auch geahndet würden. Und so fand die Bestätigung des MFR und des Wiederaufbaufonds inklusive des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus im Plenum des Europäischen Parlaments auch eine deutliche Mehrheit mit 548 Ja- und 81 Nein-Stimmen sowie 66 Enthaltungen. Zusätzlich stimmte das Parlament für eine ergänzende Entschließung, in dem es klarstellt, dass die Anwendung der Regelungen zur Rechtsstaatlichkeit nicht von der Verabschiedung von Leitlinien durch die Kommission abhängig gemacht werden könne und keine Durchführungsinstrumente notwendig seien, da der gefundene Kompromiss ausreichend Klarheit schaffe. Dementsprechend solle der Mechanismus nach Auffassung des Parlaments mit 1. Januar 2021 uneingeschränkt zur Anwendung kommen. Dennoch gilt es als wahrscheinlich, dass Polen und/oder Ungarn eine Prüfung des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus durch den Europäischen Gerichtshof einleiten werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: EU-Budget und Wiederaufbauplan: EU-Institutionen verkünden Einigung
AK EUROPA Positionspapier: EU-Haushalt als Motor für den Europäischen Aufbauplan
Europäischer Rat: Schlussfolgerungen vom 10. und 11. Dezember 2020