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ZurückAm 5. Mai 2020 unterzeichneten 23 EU-Mitgliedsstaaten ein Abkommen zur Abschaffung von bilateralen Investitionsschutzabkommen innerhalb der Europäischen Union – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem gerechteren Binnenmarkt. Österreich ist jedoch eines von nur vier Ländern, die sich nicht an dem gemeinsamen Abkommen beteiligen, mit dem den umstrittenen Sonderklagerechten endlich ein Riegel vorgeschoben wird.
Bilaterale Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaties/BITs) und die in ihnen oft vorgesehenen privaten Schiedsgerichte – sogenannte InvestorInnen-Staat-Streitbeilegungsverfahren (Investor State Dispute Settlement/ISDS) – wurden ursprünglich geschaffen, um (westliche) InvestorInnen vor unrechtmäßigen Enteignungen im Ausland zu schützen und damit Investitionen zu vereinfachen. Unter anderem in osteuropäischen Ländern die später der EU beitraten. Diese Schiedsgerichte verkörpern allerdings eine Paralleljustiz, die höchst intransparent ist. Ausländischen Unternehmen wird nämlich ein exklusives Recht eingeräumt, Staaten zu verklagen. Umgekehrt können diese Unternehmen nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie etwa für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden verantwortlich sind. Auf Grund der enormen Prozesskosten kann allein die Androhung einer Klage zu einer Beeinflussung der nationalen GesetzgeberInnen im Interesse der potentiell klagenden Unternehmen führen.
Das Achmea Urteil
Basis für das nun geschlossene Abkommen ist das sogenannte Achmea-Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Der niederländische Versicherungskonzern Achmea war im Zuge einer Liberalisierung 2004 in den slowakischen Krankenversicherungsmarkt eingestiegen. Als die Slowakei die Deregulierung 2006 (teilweise) rückgängig machte und die Gewinnausschüttung privater Krankenversicherungen untersagte, klagte der Konzern auf Basis des niederländisch-slowakischen Investitionsschutzabkommens. Das zuständige Schiedsgericht sprach dem Konzern eine Entschädigungssumme von 22,1 Millionen Euro zu – exklusive Zinsen. Die Slowakei stellte daraufhin allerdings die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in Frage und zog vor den EuGH. Dieser erklärte in seinem Urteil im Frühjahr 2018 Sonderklagerechte für InvestorInnen innerhalb der Europäischen Union als unvereinbar mit geltendem EU-Recht. Auch die Kommission vertritt seit langem die Position, dass Investitionsschutzabkommen innerhalb der EU nicht rechtens sind, weil das EU-Recht Anwendungsvorrang genießt.
Abkommen zur Beendigung der Intra-EU-BITs
Nachdem die Kommission die Mitgliedsstaaten bereits seit Jahren aufgefordert hat, ihre EU-internen Investitionsschutzabkommen aufzuheben, hat die überwiegende Mehrheit nun endlich reagiert. Zu den vier Ländern, die das Abkommen nicht unterzeichnet haben, gehört – neben Schweden, Finnland und Irland (dessen einziges BIT bereits 2011 einvernehmlich mit Tschechien aufgehoben wurde) – auch Österreich. Das nun abgeschlossene Abkommen beendet nicht nur an die 200 Investitionsschutzabkommen innerhalb der EU, auch Entscheidungen in laufenden Verfahren dürfen nicht mehr exekutiert werden. Die ausbleibende Unterzeichnung durch Österreich kommt auch deshalb überraschend, weil die damalige Übergangsregierung das entsprechende Abkommen am 18. Dezember 2019 noch genehmigt hat.
Österreich ist aktuell Vertragspartei in bilateralen Investitionsschutzabkommen mit 60 Staaten, zwölf davon betreffen andere EU-Mitgliedsstaaten. Laut der zivilgesellschaftlichen Plattform Anders Handeln bleibt nun auch jenes Abkommen in Kraft, auf dessen Basis aktuell vier heimische Banken den kroatischen Staat verklagen. „Hätte Österreich das Beendigungsabkommen am 5. Mai unterzeichnet, so wären Österreich und Kroatien verpflichtet, den Schiedsgerichten in einer gemeinsamen Erklärung mitzuteilen, dass die im Investitionsabkommen vereinbarte Schiedsklausel nicht anwendbar ist“, so die Plattform. Umgekehrt war auch Österreich bereits Ziel einer Klage durch eine Bank. Obwohl der Prozess gewonnen werden konnte, beliefen sich die für die Republik entstandenen Verfahrenskosten auf rund 5 Millionen Euro. Dem Urteil des EuGH entsprechend muss Österreich seine EU-internen bilateralen Investitionsschutzabkommen trotz allem rasch beenden. Die Chance zu einem gemeinsamen, europäischen Ansatz ließ man aber leider verstreichen.
Energiecharta-Vertrag von Abkommen ausgenommen
Verfahren, die auf der Grundlage des Energiecharta-Vertrags (Energy Chart Treaty/ECT) geführt werden, umfasst das nun unterzeichnete Abkommen nicht. Diesem Thema will sich die EU erst zu einem späteren Zeitpunkt widmen. Dabei ist das Mitte der 1990er-Jahre abgeschlossene Abkommen eines der umstrittensten Investitionsschutzabkommen. Aktuell sind hier 129 Fälle bekannt, in denen InvestorInnen Staaten verklagt haben, 80 % der Fälle entfallen auf die letzten zehn Jahre. Berechnungen des Transnational Institutes zufolge, wurden Staaten im Rahmen des ECT bis Ende 2019 zu Schadenszahlungen in Höhe von 52 Milliarden Dollar verurteilt, über weitere 32 Milliarden Dollar wurde bzw. wird noch verhandelt. Besonders problematisch ist das Abkommen auch deshalb, weil es den großen Öl-, Gas- und Kohle-Unternehmen als mächtiges Werkzeug dient, um Regierungen von einem Übergang zu nachhaltigen Energien abzuhalten. Diese Unternehmen nutzen den ECT beispielsweise, um gegen das Verbot von Ölbohrungen, die Ablehnung von Pipelines, Steuern auf fossile Brennstoffe und geplante Austritte aus umstrittenen Energiearten zu klagen. So verklagt der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland auf Grund des Atomausstiegs auf mehr als 4.4 Milliarden Euro.
AK-Präsidentin Anderl fordert sofortigen Stopp von Sonderklagerechten
Mit ihrem Vorgehen setzt sich die Regierung über die ungebrochen hohe Ablehnung der Investitionsschiedsgerichte in der Bevölkerung hinweg. Rund 847.000 Menschen forderten mit ihrer Unterschrift für die Petition „Rechte für Menschen, Regeln für Konzerne – Stopp ISDS“ ein Ende der Sonderklagerechte für Konzerne und verbindliche Regeln, damit diese weltweit für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden können. Gemeinsam mit ca. 200 europäischen Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen kämpft AK EUROPA für eine Globalisierung im Zeichen des weltweiten Wohlstandes und gegen die rücksichtslose Durchsetzung von Konzerninteressen. Anfang Februar wurden die Unterschriften an Vizekanzler Werner Kogler übergeben. Auch AK-Präsidentin Renate Anderl fordert von der Bundesregierung eine Erklärung, warum diese das Abkommen nicht unterschrieben hat, schließlich verstoßen diese Investitionsabkommen gegen EU-Recht. „Wir wollen keine Paralleljustiz für InvestorInnen, die dann zum Schaden der ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und BürgerInnen Klage einbringen können“, so die AK-Präsidentin. Rechtsstreitigkeiten sind vor staatlichen Gerichten zu klären, das muss auch für InvestorInnen gelten: „Ein paralleles Justizsystem ist inakzeptabel, es gibt staatliche Gerichte, die diese Aufgabe übernehmen können“. Die Haltung der Bundesregierung könnte Österreich außerdem teuer zu stehen kommen, immerhin ist bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich anhängig. Anderl fordert deswegen eine sofortigen Stopp dieser Investitionsabkommen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Internationale Kampagne fordert neue Spielregeln für Großkonzerne
AK EUROPA: Der Energiecharta-Vertrag verhindert ökologische Trendwende
A&W Blog: EU-Staaten beenden Privilegien für Investoren – wann zieht Österreich nach?