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Frauen und Männer haben in der EU eigentlich die gleichen Rechte. Aber eben nur eigentlich, denn formaler Gleichstellung stehen strukturelle Schieflagen in zahlreichen Bereichen entgegen.

 

Diese Woche sind im EU-Parlament dazu drei Berichte angenommen worden: ein allgemeiner Gleichstellungsbericht, ein Bericht zur mangelnden Umsetzung einer bereits verabschiedeten Richtlinie zum gleichen Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, und ein Bericht über die EU-Mittel zur Gleichstellung der Geschlechter.

 

Einmal mehr wird darin die Vielschichtigkeit von Diskriminierung deutlich. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Väter haben nach wie vor kaum Zugang zu öffentlichen Wickeltischen, Schwangere werden auf Grund ihrer Schwangerschaft trotz gültigem Ticket am Flughafen stehen gelassen. Gender Pay Gaps, Gender Pension Gaps, die Anzahl von Frauen in Führungspositionen und politischen Entscheidungsgremien, die Ungleichverteilung von Zeit und eine Reihe weiterer Indikatoren von Geschlechterungleichheiten bleiben anhaltend schlecht. Vereinzelt sind sogar Rückschritte zu beobachten. Gleichzeitig sind aber die EU-weiten Mittel für Gleichstellungsmaßnahmen als Folge der Austeritätspolitik gesunken. Gerade das Beispiel so genannter Strukturanpassungs- und tatsächlicher Sparprogramme zeigt, warum politische Maßnahmen vor ihrer Umsetzung auf geschlechtsspezifische Auswirkungen hin untersucht werden müssen, wie es einer der angenommenen Berichte bald vorschreiben könnte.

 

Austeritätspolitik führt nämlich nicht nur dazu, dass Gelder für spezifische Maßnahmen zur Geschlechtergleichstellung eingespart werden. Durch massive Kürzungen bei Sozialleistungen im Gesundheits- und Bildungssystem sind besonders jene Sektoren betroffen, in welchen Frauen überdurchschnittlich häufig beschäftigt sind, wie auch im Rahmen der rund um den Frauentag im Europäischen Parlament veranstalteten Feminist Forum Week diskutiert wurde. Kürzungen in diesen Bereichen führen damit vor allem bei Frauen zur Prekarisierung, erhöhter und oftmals erzwungener Teilzeitbeschäftigung oder gar Arbeitslosigkeit. Mit der Zurückdrängung öffentlicher Leistungen werden Frauen zudem dadurch benachteiligt, dass sie immer noch hauptsächlich für Sorge- und Hausarbeit aufkommen müssen. Fallen staatliche Leistungen weg, springen Frauen ein, um diese zu ersetzen. Gleichzeitig steht weniger Geld zur Verfügung, diese Care-Arbeit in Form privater Dienstleistungen auszulagern. Wiederum sind Frauen, meist mit Migrationserfahrungen, diejenigen, die dadurch ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen verlieren. Austeritätspolitische Maßnahmen führen damit dazu, dass Frauen mehr und gleichzeitig unter schlechteren Bedingungen arbeiten müssen - bezahlt wie unbezahlt.

 

Geschlechterspezifisch unterschiedliche Auswirkungen sind bereits in Österreich zu beobachten. Viel deutlicher jedoch werden sie in Staaten, die wie Portugal, Spanien oder Griechenland besonders stark von Strukturanpassungsprogrammen betroffen sind. Dass sich neoliberale Projekte unterschiedlich auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen auswirken, hätte bereits vor der Implementierung solcher Programme mit Blick auf die Auswirkungen von bereits durchgeführter Reformen in lateinamerikanischen oder asiatischen Staaten erkannt und auf EU-Ebene berücksichtigt werden müssen .

 

Gleichstellungspolitik darf neoliberalen Reformen nicht zum Opfer fallen. Fehlende Gleichstellung ist neben klar negativen sozialen Auswirkungen auch mit ökonomischen Kosten verbunden, wie das zur Europäischen Kommission gehörige Institut EIGE zeigt. Austeritätspolitik verschlimmert damit soziale und ökonomische Ungleichheiten und führt dazu, dass die vulnerabelsten Gruppen die Kosten schleichender Budgetkonsolidierung zu tragen haben. Eine Studie der AK zeigt ganz klar, wie vielfältig positiv sich öffentliche Investitionen in soziale Dienstleistungen auszahlen. Mehr Mittel für Kinderbetreuungsplätze etwa können damit nicht nur zu einer besseren Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf führen. Sie können zudem neue Arbeitsplätze schaffen, Frauen eine Vollzeitbeschäftigung ermöglichen und damit höhere Einkommen generieren, die sich wiederum positiv auf die Binnennachfrage und letztlich auf volkswirtschaftliches Wachstum und Staatseinnahmen auswirken können. Die staatlichen Investitionen rechnen sich bereits mittelfristig. Langfristig ist es teurer, nicht in Geschlechterungleichheiten und soziale Versorgungsdefizite einzugreifen. Schluss also mit neoliberalen Reformen, welche das Wohl weniger auf Kosten aller finanziert - wer unter Druck geratenen Ländern helfen möchte, sollte sich für die Gleichstellung stark machen und diese nicht durch eine fehlgeleitete Austeritätspolitik noch zusätzlich schwächen!

 

 

Weiterführende Informationen:

EK: Gender Equality Bericht 2017

EP: Gleichstellung von Frauen und Männern in der EU 2014-2015

EP: Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen

EP: EU-Mittel für die Gleichstellung der Geschlechter

Studie: Structural Adjustment, Gender and Household Survival Strategies: Review of Evidences and Concerns (Englisch)

AK Europa: Investiver Sozialstaat. Wachstum, Beschäftigung und finanzielle Nachhaltigkeit, Volkswirtschaftliche und fiskalische Effekte des Ausbaus der Kinderbetreuung in Österreich

Blog Arbeit-Wirtschaft: Familienpolitik mit Handbremse

Blog Arbeit-Wirtschaft: Elementarbildung: Investitionen rechnen sich

BAK Brüssel: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – wir wollen keine 70 Jahre mehr warten!

BAK Brüssel: Frauentag am 8. März – und die 364 Tage danach?