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Wie es mit Europa weitergehen soll – hierzu präsentierte die Kommission am 10. Mai ein Reflexionspapier, das diese Woche in Straßburg vom Europaparlament diskutiert wurde. Der Fokus liegt bei der Frage, wie die EU die Globalisierung meistern kann. Wachsende Ungleichheit und soziale Polarisierung werden dabei als negative Folgen der Globalisierung erstmals offen von der Kommission benannt.

 

Das Reflexionspapier ist das zweite von insgesamt fünf Reflexionspapieren der Kommission, die im Rahmen des im März diesen Jahres präsentierten Weißbuchs zur Zukunft Europas veröffentlicht werden und bis zu Junckers Rede zur Lage der Union im September die Diskussion über die zukünftige Gestaltung der EU begleiten sollen.

 

Neben den vermeintlichen Globalisierungsgewinnen findet nach zwei Jahrzehnten der Verleugnung endlich auch die Kehrseite Erwähnung: Die erzielten Wohlstandgewinne sind bei weitem nicht gleich verteilt – weder innerhalb der EU noch innerhalb der Mitgliedsstaaten. Auch die Gefahr sozialer Polarisierung sowie die von Teilen der EU-Bevölkerung artikulierte Angst vor dem Verlust nationaler Identität, Tradition und Lebensweise als Folgen von Freihandel und deregulierter Globalisierung räumt die Kommission ein. Unfaire Handelspraktiken und Steuerflucht großer Konzerne haben sich zudem negativ auf bestimmte europäische Wirtschaftszweige und Haushalte der Mitgliedsstaaten ausgewirkt.

 

Während das Reflexionspapier zu Beginn eine ausgeglichene Betrachtung von Chancen und Risiken der Globalisierung darlegt, setzen die anschließenden Lösungsvorschläge vor allem bei internationaler Zusammenarbeit und Wirtschaft an, anstatt die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Die breit gefächerten Überlegungen zeigen dabei auch, wie umfangreich Globalisierung und die damit assoziierten Herausforderungen sind.

 

Die negativen Auswirkungen der Globalisierung sollen, so die Idee des Reflexionspapiers, auf globaler Ebene und innerhalb der EU begegnet werden. Von internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels, einer neuen Entwicklungspolitik der EU, internationale Koordinierung und Zusammenarbeit – beispielsweise bei der Bekämpfung von Steuerschlupflöchern – bis hin zu weiteren Freihandelsabkommen, findet sich ein mehr oder weniger bekannter Katalog an Vorschlägen. Innerhalb der EU sollen staatliche und private Investitionen, eine aktive Arbeitsmarktpolitik und lebensbegleitendes Lernen die Globalisierung gestalten, die Gewinne gerechter verteilen und gleichzeitig ein innovationsfreundliches Umfeld und nachhaltiges Wirtschaftswachstum schaffen.

 

Die Kommission wirft in dem Papier auch die Frage auf, ob die derzeitige Struktur der EU „zügige, transparente und inklusive Beschlussfassungsverfahren“ internationaler Abkommen gewährleistet und spielt damit auf die diese Woche veröffentlichte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Klärung der Kompetenzen bei Freihandelsabkommen an. Diese stellt klar, dass ausländische Investitionen und Investitionsschiedsgerichte gemischte Kompetenz sind und somit neben der Zustimmung von Rat und Europaparlament auch jene der nationalen und regionalen Parlamente der Mitgliedsstaaten erfordern. [i]

 

Das Europaparlament begrüßte das Reflexionspapier als wichtigen Denkanstoß. Der Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der S&D-Fraktion Jeppe Kofod (S&D) betonte zudem, wie wichtig es sei, den EU-BürgerInnen zu zeigen, was die EU tue, um Globalisierung aktiv zu gestalten. Als Beispiel schlug er ein „Scoreboard für das Meistern der Globalisierung“ vor, auf dem unter anderem die derzeit im Parlament diskutierten Initiativen zur Steuervermeidung von Konzernen Platz finden sollten. Auch die AK setzt sich für die länderspezifische Offenlegung der Gewinne multinationaler Konzerne ein und fordert verbindliche und durchsetzbare Arbeits- und Umweltstandards in Freihandelsabkommen. Nur so kann einem Handel, der heute immer mehr entlang globaler Wertschöpfungsketten stattfindet und es multinationalen Konzernen ermöglicht durch Offshoring, Outsourcing und komplexe Unternehmensstrukturen Steuern sowie Arbeits- und Umweltstandards zu umgehen, etwas entgegen gesetzt werden.

 

[i] Auch wenn sich die Entscheidung konkret auf das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen zwischen Singapur und der EU bezieht, so gilt sie doch als richtungsweisend für alle Abkommen „neuer Generation“, zu denen auch die möglichen Abkommen mit Japan, Mexiko und Australien sowie dem Vereinigten Königreich zählen. Keine alleinige Kompetenz hat die Kommission demnach in Bezug auf Investitionsschutz sowie die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten. Hierzu zählen auch die Investitionsschiedsgerichte, die bereits während der CETA Verhandlungen in Kritik geraten waren, da sie InvestorInnen privilegierte Rechte gegenüber Staaten und Zivilgesellschaft einräumen. Alleinige Kompetenz wiederum räumt der EuGH der Kommission im Bereich Transportdienstleistungen und dem Inhalt der Nachhaltigkeitskapitel ein und geht damit über das Gutachten der Generalsstaatsanwältin hinaus.

 

Weiterführende Informationen:

Reflexionspapier: Die Globalisierung meistern

blog.arbeit-wirtschaft.at: Das Alternative Handelsmandat

blog.arbeit-wirtschaft.at: Wie könnte „gute“ Globalisierung aussehen?

blog.arbeit-wirtschaft.at: Globalisierung und die Zukunft der Demokratie

Positionspapier über die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen