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ZurückAnfang Februar 2020 startete die Europäische Kommission die Diskussion über eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die Arbeiterkammer hat sich an der öffentlichen Konsultation beteiligt und hält fest: Europa braucht eine Reform der Fiskalregeln, mit der eine nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen in der EU in den Mittelpunkt gerückt wird.
Wenige Wochen, bevor aufgrund der Coronakrise nahezu der gesamte Kontinent zum Stillstand kam, startete die Europäische Kommission eine Konsultation zur Reform des Wirtschaftlichen Steuerungsrahmens der EU. Die Diskussion rund um diese notwendige Reform kam mit der Krise jedoch zum Erliegen, und das ist auch nicht weiter überraschend: Die zentralen Bestimmungen der EU-Fiskalregeln, nämlich die Begrenzung der nationalen Budgetdefizite auf 3 % und der Verschuldung auf 60 %, wurden Anfang April für den Zeitraum der Krise außer Kraft gesetzt.
Umso wichtiger wird es sein, dass es mit dem Ende der Krise nicht zu einer Rückkehr zu den alten starren Regeln kommt, und dass die Fehler nach der Finanzkrise ab 2008 nicht wiederholt werden. So war es die Austeritätspolitik, die gerade in Südeuropa zu massiven Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben führten und deren Preis diese Länder – beispielsweise aufgrund von Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem – nun zu zahlen haben.
Eigentlich sind in den Verträgen über die Europäische Union als allgemeine Leitziele verankert, für eine Wirtschaftspolitik zu sorgen, welche für die „Konvergenz ihrer Volkswirtschaften“ und den „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung“ sorgt. Doch anstatt die EU-Wirtschaftspolitik an diesem Ziel zu orientieren, war sie in den vergangenen Jahrzehnten in erster Linie auf die Vermeidung übermäßiger Budgetdefizite ausgerichtet. Damit wurde der Eindruck erweckt, die eigentlichen Ziele würden trotz dezentraler Wirtschaftspolitik automatisch erreicht, wenn nur die öffentlichen Haushalte mittelfristig ausgeglichen bilanzierten. Dass dem nicht so ist, zeigte die Dynamik nach der Wirtschaftskrise ab 2008 eindrücklich. Dieser Fehler darf sich unter der durch den Coronavirus ausgelösten Wirtschaftskrise nicht wiederholen.
Budgetpolitik wird weiterhin eine zentrale Rolle spielen, wie die Arbeiterkammer in ihrem Konsultationsbeitrag festhält. Sie darf aber nicht länger auf die Vermeidung von „übermäßigen“ Defiziten reduziert werden, sondern muss als wesentliches Instrument einer ausgewogenen und wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik dienen. Regeln, die der Einhaltung eines bestimmten Defizitwerts prioritären Status einräumen, sind kontraproduktiv und sollten durch einen Richtwert für die strukturelle Einnahmen- und Ausgabenentwicklung ersetzt werden. So wäre beispielsweise eine goldene Investitionsregel wichtig, mit der öffentliche Investitionen nicht für die Berechnung der Neuverschuldung herangezogen werden. Denn ein Schuldenabbau darf nicht zu Lasten von zentralen Zielen wie Klimaschutz oder Vollbeschäftigung gehen. Vielmehr werden in den nächsten Jahren umfangreiche öffentliche Investitionen notwendig sein, um den von der EU selbst als prioritäres Ziel definierten Grünen Deal und die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Diese notwendige Neuausrichtung würde eine Vertragsreform benötigen. Eine Änderung der EU-Verträge sollte gleichzeitig auch dazu genützt werden, die Mitentscheidungskompetenz des EU-Parlaments zu erhöhen, um die Abläufe demokratischer und transparenter zu gestalten. Ebenso wäre die Einrichtung eines Eurozonen-Parlaments denkbar, um es in die Regelungen der Eurogruppe einzubinden. Statt eine bestimmte Politik einzuzementieren, sollten die EU-Verträge Regeln bereitstellen, die eine demokratische Auseinandersetzung um die beste Lösung auf der Höhe der Zeit ermöglichen.
Auf europäischer Ebene benötigt es außerdem mehr Mittel, die zu einer effektiven fiskal- bzw. wirtschaftspolitischen Steuerung beitragen. Hierzu ist mit der im Rahmen des Wiederaufbaufonds geschaffenen Aufbau- und Resilienzfazilität ein positiver Schritt gesetzt worden. Mit dieser können die Mitgliedstaaten erstmals Gelder in Form von Krediten erhalten. Dementsprechend müssen diese im Rahmen der Coronakrise ergriffenen positiven Sofortmaßnahmen zu einer progressiven Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts führen, um die Leitziele der Europäischen Verträge endlich zu erfüllen.
Weitere Informationen:
AK EUROPA Policy Brief: Economic Governance - Focus on Sustainable Development of Well-Being
AK EUROPA: Stabilitäts- und Wachstumspakt: Kommission startet Reformdebatte
AK EUROPA: EU lockert die Fiskalregeln für die Mitgliedstaaten aufgrund der Coronakrise