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ZurückSeit einigen Jahren ist die EU von massiven Krisen geprägt: die schwerste Pandemie seit mehr als hundert Jahren, die schlimmste militärische Aggression auf europäischem Territorium seit 80 Jahren durch den Angriff Russlands auf die Ukraine, die größte Energiekrise seit den 1970er Jahren, die höchste Inflation seit Bestehen des Euro, geopolitische Verwerfungen und als Folge Fluchtbewegungen in die EU und eine sich stetig verschärfende Klimakrise. Auf den EU-Haushalt hat diese Häufung von Krisen erhebliche Auswirkungen, die entsprechende Anpassungen erforderlich machen. Insgesamt soll der EU-Finanzahmen um fast 65 Mrd. Euro aufgestockt werden.
Nach mehreren Monaten Verhandlungen konnten die Staats- und Regierungschefs am 1. Februar 2023 eine Einigung über den EU-Budgetrahmen bis 2027 erzielen. Am 6. Februar konnte dann auch ein Übereinkommen mit dem Europäischen Parlament erreicht werden. Der laufende EU-Finanzrahmen bis 2027 wird nun um insgesamt 64,6 Mrd. Euro aufgestockt.
Schwerpunkte vor allem Ukraine-Hilfe und Migrationspolitik
Größter Ausgabenposten ist die Ukraine-Hilfe in Höhe von 50 Mrd. Euro, wovon 33 Mrd. Euro als Darlehen und die restlichen 17 Mrd. Euro als nicht rückzahlbare Finanzhilfe gewährt werden. Finanziert werden sollen mit den Geldern Erholungs- und Wiederaufbaumaßnahmen. Vorbedingung für die Unterstützungszahlungen ist die Aufrechterhaltung demokratischer Mechanismen, Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte und der Kampf gegen Betrug, Korruption und Unregelmäßigkeiten.
Mit zusätzlichen rund 9,6 Mrd. Euro soll der Bereich der Migration und externe Herausforderungen dotiert werden, weil die ursprünglich vorgesehenen Mittel bereits ausgeschöpft sind. Insbesondere für syrische Flüchtlinge sind Zahlungen eingeplant: 2 Mrd. Euro betreffen Zahlungen für syrische Hilfesuchende in der Türkei, weitere 1,6 Mrd. Euro syrische Flüchtlinge in Syrien, Jordanien und im Libanon.
Sowohl für südliche Nachbarschaftsregionen und den Westbalkan sind insgesamt weitere 4 Mrd. Euro an Unterstützung für Hilfsmaßnahmen, wiederum insbesondere für Migration und Grenzmanagement vorgesehen.
Zusatzgelder für strategische Technologien sowie Solidaritäts- und Soforthilfe
Über die sogenannte Plattform für strategische Technologien für Europa (STEP) sollen für das Wirtschaftswachstum bedeutende strategische und digitale Technologien sowie Umwelt- und Biotechnologie in der Europäischen Union gezielt gefördert werden. Zur Finanzierung werden hauptsächlich bestehende Fonds (Forschung, Kohäsion) herangezogen, es gilt ein Kofinanzierungssatz von bis zu 100%. Im Rahmen von STEP sollen auch die Investitionskapazitäten im Verteidigungsbereich erhöht werden. Dafür werden 1,5 Mrd. Euro an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt.
Nachdem die Mittel für Hilfe bei Katastrophen und Notlagen bereits nach der halben Laufzeit des EU-Finanzrahmens völlig ausgeschöpft waren, sind auch bei den Solidaritäts- und Soforthilfereserven 1,5 Mrd. Euro zusätzlich budgetiert worden. Das Flexibilitätsinstrument, das ebenfalls in Notfällen zum Einsatz kommen kann, wird ebenso um 2 Mrd. Euro erhöht.
Zinszahlungen für das EU-Konjunkturpaket als große Unbekannte
Aufgrund der stark gestiegenen Leitzinssätze der EZB werden nun die Kosten für die auf EU-Ebene aufgenommenen Kredite für das EU-Konjunkturpaket NextGenerationEU zu einem unvorhergesehenen Problem. Die EU-Kommission macht zu den geschätzten Zinskosten keine Angabe, der Think Tank Bruegel geht aber von doppelt so hohen Kosten aus wie ursprünglich kalkuliert. Um dieses Problem zu lösen, soll ein Kaskadenmechanismus kommen: Zuerst sollen verfügbare Mittel aus jener EU-Haushaltsrubrik ausgeschöpft werden, in der der größte Teil der Mittel aus dem EU-Konjunkturpaket (die sogenannte „Wiederaufbau“-Fazilität) untergebracht ist. Verklausuliert wird auch die Möglichkeit angesprochen, dass die Mitgliedsstaaten entsprechende Beiträge leisten, um die Zinszahlungen zu bestreiten.
Budgetumschichtungen treffen Beschäftigtenanliegen massiv
Rund 10,6 Mrd. Euro der nötigen zusätzlichen Mittel sollen durch Umschichtungen im Budget aufgebracht werden, darunter auch Gelder vom Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung. Statt der bisherigen 210 Mio. Euro jährlich für Qualifikationsmaßnahmen und Schulungen von Arbeitnehmer:innen sollen ab diesem Jahr nur mehr 30 Mio. Euro zur Verfügung stehen. Einsparungen sind auch beim Programm EU4Health und beim EU-Forschungsprogramm vorgesehen – in Summe mehr als 3 Mrd. Euro bis 2027. Gerade in einer Zeit, in der wieder über Verlagerungen von Betriebsstätten in Drittländer gesprochen wird, sollten diese Mittel aus AK Sicht jedoch keinesfalls gekürzt werden.
Es ist zudem unverständlich, dass in der Halbzeitüberprüfung des EU-Budgets die größten Ausgabenposten wie die Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik überhaupt nicht erörtert werden. Auch die Finanzierung des sozial-ökologischen Umbaus spielt so gut wie keine Rolle, obwohl die Lösung dieser Frage immer dringlicher wird.
Eigenmittelreform lässt auf sich warten
De facto keine Rede ist mehr von der Einnahmenseite des EU-Budgets. Vorschläge wie Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem, das CO2-Grenzausgleichssystem oder Anteile an Residualgewinnen von multinationalen Unternehmen könnten etliche Milliarden in den EU-Haushalt spülen beziehungsweise für die Finanzierung des EU-Konjunkturpakets dienen, Fortschritte gibt es in diesem Bereich aber schon seit geraumer Zeit keine mehr.
Unterm Strich bleibt der Eindruck, dass insbesondere von EU-Kommission und Rat nur das Nötigste gemacht wurde, um das Budget am Laufen zu halten. Strukturelle Anpassungen und Reformen zur Förderung von Beschäftigten und der breiten Mehrheit der EU-Bevölkerung sind in den Dokumenten nicht zu finden. Somit bleibt nur die Hoffnung, dass bei den Verhandlungen für den nächsten Finanzrahmen ab 2028 größere Fortschritte erzielt werden.
Weiterführende Informationen
EU-Parlament: Deal on mid-term revision of EU´s long-term budget (Nur Englisch)
Europäischer Rat: Schlussfolgerungen, 1. Februar 2024
A&W Blog: Krisen machen Anpassungen beim EU-Haushalt nötig
EU-Kommission: EU-Kommission schlägt neue EU-Eigenmittel vor
EU-Kommission: Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung