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ZurückDie EU blockiert mittlerweile seit über 17 Monaten die globale Freigabe der Produktionsrechte für Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19. Aus den Verhandlungen in der Welthandelsorganisation ist nun ein Dokument durchgesickert, das weiterhin kaum Bewegungsbereitschaft der EU zeigt. AK EUROPA sowie Organisationen der Zivilgesellschaft rufen die EU neuerlich dazu auf, geistige Eigentumsrechte für Covid-19-relevante Impfstoffe, Arzneimittel und Gesundheitstechnologien auszusetzen.
Am Coronavirus starben bisher über 18 Millionen Menschen weltweit, die meisten davon in Ländern des globalen Südens. Während Anfang 2022 in Ländern mit hohem Einkommen über 70 Prozent der Bevölkerung eine vollständige Impfung hatten, waren es in den Ländern mit niedrigem Einkommen unter fünf Prozent. Der Mangel an Impfstoffen und gesundheitlicher Gleichstellung stellt somit das größte Versagen des Pandemiemanagements weltweit dar und zeigt die tiefe soziale und wirtschaftliche Zweiteilung der Welt auf.
Bereits im Oktober 2020 schlugen Indien und Südafrika innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) vor, auf mehrere Abschnitte des „Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS)“ zu verzichten, um die Prävention, Eindämmung und Behandlung von Covid-19 zu ermöglichen. Dieser sogenannte “TRIPS-Waiver” umfasst beispielsweise die Aussetzung von Patentrechten auf Covid-19-Impfstoffen. Damit wäre es WTO-Mitgliedsstaaten möglich, TRIPS-Verpflichtungen für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Beispielsweise wären dann Länder wie etwa Südafrika oder Indien in ihrer Impfstoffproduktion vor WTO-Klagen durch reichere Staaten geschützt. Durch mehr Hersteller:innen könnten Medikamente, Impfstoffe oder sogenannte Generika die weltweite Versorgungssicherheit zu einem bezahlbaren Preis ermöglichen. Auch das EU-Parlament hatte mit einem Entschließungsantrag im Juni 2021 für den Vorschlag gestimmt und die für die EU verhandlungsführende EU-Kommission aufgerufen, den TRIPS-Waiver zu unterstützen.
Mitte März 2022 ist ein Zwischenergebnis der Vierer-Gespräche zwischen der EU, den USA, Südafrika und Indien in der WTO an die Presse durchgesickert. Dieses fällt weit hinter den ursprünglichen Vorschlag für den TRIPS-Waiver zurück und legt einer versorgungssicheren Pharmaproduktion im globalen Süden weiter Steine in den Weg. Deswegen rufen AK EUROPA sowie weitere zivilgesellschaftliche Organisationen die EU dazu auf, „keinen unangemessenen Druck auf die Mitglieder der Welthandelsorganisation auszuüben“, dieses schlechte Verhandlungsergebnis zu unterstützen. So lautet die Einschätzung des öffentlichen Aufrufs: Die EU und die USA haben den ursprünglichen TRIPS-Waiver so sehr verwässert, dass die nun vorliegende vorläufige Einigung noch schlimmer als keine Vereinbarung wäre und daher abzulehnen ist. Laut Ärzte ohne Grenzen, Medico International, ua handelt es sich bei der vorläufigen Einigung im Wesentlichen um eine Wiederholung bestehender, viel zu eng gefasster Ausnahmeregelungen und versäumt es somit, jene Schranken aufzuheben, die einer verstärkten Impfstoffproduktion im Weg stehen. Besonders problematisch ist zudem, dass im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag nur Covid-19-Impfstoffe enthalten sein sollen – Medikamente und Testkits sollen hingegen von einer Patentfreigabe ausgeschlossen bleiben. Zudem wird die Nutzbarkeit von Patenten weiter verkompliziert, während beispielsweise die Freigabe von wichtigen Studienergebnissen zu Covid-19-Medikamenten und -Impfstoffen vom nunmehr vorliegenden Gegenvorschlag ausgespart bleibt (sog „undisclosed information“). Problematische Zulassungskriterien könnten zudem zahlreiche Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen von der Produktion, Lieferung, Ausfuhr und Einfuhr ausschließen.
Die Gefahr von Covid-Mutationen ist global und zeigt die Notwendigkeit eines gerechten Zugangs zu Impfstoffen deutlich auf. Der globalen Kluft bei der Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten und Impfstoffen muss umso mehr mit einer weltweiten Erhöhung der Produktionskapazitäten begegnet werden. Daher wird die EU-Kommission von AK EUROPA, EGB und weiteren Zivilgesellschaftsorganisationen aufgefordert, zu den Zielen des ursprünglichen TRIPS-Waiver Vorschlags von Indien und Südafrika zurückzukehren. Die Aussetzung von Patentrechten dürfe nicht nur für Impfungen gelten, sondern müssen auch Therapeutika und Diagnostika umfassen. Außerdem müssen die Produktionsstätten im globalen Süden ausgebaut und mittels ungehinderten Wissenstransfers gefördert werden. Nur so kann Covid-19 und zukünftigen Pandemien solidarisch begegnet werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: EU-Parlament fordert Patentfreigabe für Pandemiebekämpfung
AK Wien: Produktion für Covid-19-Impfstoffe im globalen Süden ausweiten
A&W Blog: Globale Impfungleichheit – Wer hat, dem wird gegeben
Europäischer Gewerkschaftsbund: Brief an die Europäische Kommission zu Covid-19 Impfstoffen (nur Englisch)
Public Services International: Too little, too late – We need a permanent TRIPS waiver mechanism (nur Englisch)