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ZurückBei der am 17. Juni 2022 zu Ende gegangenen Minister:innenkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) haben die Mitgliedstaaten eine Vereinbarung über die Freigabe von Patenten für Covid-19 Impfstoffe getroffen. Obwohl diese als Durchbruch gefeiert wurde, stellt sich die Frage, was tatsächlich beschlossen wurde und wie das Ergebnis im Hinblick auf die Notwendigkeit einer globalen und effektiven Pandemiebekämpfung zu bewerten ist.
Nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen konnten sich die Delegationen innerhalb der WTO schlussendlich auf das „Genfer Paket“ einigen, welches einen Verzicht auf bestimmte Anforderungen in Bezug auf verpflichtende Lizenzen für Covid-19-Impfstoffe enthält.
Im Oktober 2020 hatten Indien und Südafrika vorgeschlagen, die handelsbezogenen geistigen Eigentumsrechte für Covid-19 relevante Medizinprodukte wie Medikamente, Diagnostika und Impfstoffe zur raschen Bekämpfung der Pandemie auszusetzen. Während die westliche Welt sowohl über die Ressourcen, Technologien als auch das Know-How für deren Herstellung verfügt, fehlt es Ländern des globalen Südens an diesen essenziellen Mitteln. Aufgrund der weltweit geteilten Gefahr von Coronavirus-Mutationen und angesichts der schweren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen infolge der Pandemie braucht es nach wie vor solidarische und globale Lösungen.
Bekräftigung des Bestehenden
Doch viele Industrieländer – darunter die Europäische Union – weigerten sich, die im TRIPS-Abkommen festgelegten Regeln aufzuheben, um die Herstellung von Covid-19-Medizinprodukten anzukurbeln und damit insbesondere Entwicklungsländer zu unterstützen. Monatelang war nun auf internationaler Ebene um einen Kompromiss gerungen worden. Das Ergebnis, das nun auf der WTO-Konferenz erzielt wurde, ist allerdings sehr enttäuschend: Vom geforderten weitreichenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte im Zusammenhang mit Covid-19-Medizinprodukten sind zum einen nur Patente auf Impfstoffe übriggeblieben. Zum andern bekräftigt die getroffene Vereinbarung weitgehend jene Möglichkeiten, auf die sich Staaten bereits jetzt berufen können. So kann ein WTO-Mitgliedsland den Patentschutz auf Impfstoffe außer Kraft setzen, wenn ein nationaler Notstand oder sonstige schwerwiegende Umstände gegeben sind. Aufgrund der hohen bürokratischen Hürden wurde das dafür seit ca 20 Jahren vorgesehene Verfahren bisher nur ein einziges Mal erfolgreich genutzt. Dabei ging es um den Export eines HIV-Medikaments von Kanada nach Ruanda.
Darüber hinaus sollen jene Entwicklungsländer, die bereits jetzt über Kapazitäten zur Herstellung von Covid-19-Impfstoffen verfügen, sich verbindlich verpflichten, diese Regelung nicht zu nutzen. Damit ist vor allem China gemeint, das Covid-19-Impfstoffe produziert und über die dafür notwendigen Technologien verfügt. Insiderberichten zufolge hatten die USA und China bis zuletzt über eine für beide Seiten akzeptable Formulierung verhandelt. Entwicklungsländer können nun fünf Jahre lang diese Vereinbarung in Anspruch zu nehmen.
Verlorene Zeit für weltweite Pandemiebekämpfung
Um allerdings die Hoffnung auf eine der Situation angemessenen, umfassenden Verzichtserklärung für dringend benötigte Covid-19-Medizinprodukte doch nicht ganz zu begraben, wurde festgehalten, dass die WTO-Mitgliedstaaten in spätestens sechs Monaten über eine Ausweitung des Beschlusses entscheiden. Für die weltweite Pandemiebekämpfung, die bereits unzählige Leben gekostet hat, wird damit weitere wertvolle Zeit vertan. Obendrein ist die Aussicht auf Erfolg vor dem Hintergrund der Interessengegensätze zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ohnedies gering.
Die aktuelle WTO-Vereinbarung zum TRIPS-Abkommen ist meilenweit von dem entfernt, was die Befürworter:innen des TRIPS-Waivers beabsichtigt hatten. Den Beschluss lediglich auf Impfstoffe und bereits bestehende Ausnahmeregelungen zu beschränken, lässt sich aus Perspektive der Pandemiebekämpfung nicht rechtfertigen. Dass überhaupt ein Text verabschiedet wurde, kann viel eher als Symbol gewertet werden, die WTO nicht noch weiter in die vollkommene Bedeutungslosigkeit abdriften zu lassen. Der Druck – insbesondere von WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala – sich zu einigen, war sehr hoch, ging es doch um nicht weniger als die WTO nach jahrelangem Stillstand als funktionierendes, multinationales Organ zu präsentieren. Scheinlösungen ohne Gehalt werden allerdings weder der WTO Bedeutung einhauchen, noch werden sie die eklatante Ungleichheit beim Zugang zu lebensrettenden Covid-19-Medizinprodukten beseitigen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: EU-Parlament fordert Patentfreigabe für Pandemiebekämpfung
AK Wien: Produktion für Covid-19-Impfstoffe im globalen Süden ausweiten
ÖGB und AK: Brief an Bundesminister Kocher zur WTO Minister:innenkonferenz
A&W Blog: Globale Impfungleichheit – Wer hat, dem wird gegeben
WTO News: WTO members secure unprecedented package of trade outcomes at MC12