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ZurückDie Debatte um den Stabilitäts- und Wachstumspakt nimmt derzeit wieder Fahrt auf. Bei einem von AK EUROPA und dem ÖGB Europabüro organisierten Webinar wurden die Schwächen der bestehenden Fiskalregeln diskutiert und mögliche Reformen skizziert. Eine Anpassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist unerlässlich, um großflächige Investitionen für eine sozial-ökologische Transformation zu ermöglichen.
Es gibt Anzeichen, dass die EU aus der Austeritätspolitik nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 gelernt hat. In der aktuellen Covid-19 Krise wurden die Fiskalregeln befristet ausgesetzt. Das NextGeneration EU Programm konzentriert sich auf Investitionen zur Überwindung der aktuellen Krise, anstatt erneut eine rigorose Sparpolitik zu betreiben. Gleichzeitig soll im Herbst die coronabedingt abgebrochene Debatte zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) wieder aufgenommen werden. Eine Gruppe von Arbeitnehmer:innenverbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Think Tanks haben deshalb die Aktionswoche Fiscal Matters‘ ausgerufen, in der eine Vielzahl von Veranstaltungen auf die Notwendigkeit einer Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hinweisen. AK EUROPA und das ÖGB Europabüro beteiligten sich an dieser Aktionswoche mit der Online-Veranstaltung „Reform of Fiscal Rules – Lessons Learned?“, welche am 29.09.2021 stattfand.
In seiner Keynote ging Achim Truger Mitglied des Sachverständigenrates der deutschen Bundesregierung, auf die Unzulänglichkeiten der bestehenden Fiskalregeln ein. Hierbei bemängelte er die willkürlichen und unzureichend flexiblen Schulden- und Defizitgrenzen innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie das Fehlen einer Goldenen Regel für öffentliche Investitionen. Des Weiteren sei die prozyklische Natur der Fiskalregeln vor allem in Rezessionen kontraproduktiv. Nicht zuletzt kritisierte Truger die Komplexität der Regeln, den Mangel an Transparenz sowie die demokratischen Defizite des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. In diesem Sinne schlug Truger als Reformmaßnahmen für den Stabilitäts- und Wachstumspakt unter anderem die Einführung einer Goldenen Regel für öffentliche Investitionen vor, um die Finanzierung von Investitionen durch Defizite zu ermöglichen. Generell zeigte sich Truger optimistisch, da aus seiner Sicht Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch ohne Änderungen der Europäischen Verträge implementiert werden können und daher nicht zwangsläufig Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten voraussetzen.
Im Anschluss an die Keynote kamen drei Panelist:innen zu Wort. Nacho Álvarez, spanischer Staatssekretär für soziale Rechte, betonte, dass das Hauptproblem weniger das institutionelle Design des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sei, sondern das falsche Verständnis der Funktionsweise der Ökonomie, auf welchem der Stabilitäts- und Wachstumspakt beruhe. Es brauche daher eine grundlegende Diskussion und Überarbeitung der Economic Governance sowie der zugrundeliegenden wirtschaftspolitischen Ziele in der EU. Des Weiteren befürwortete Álvarez ausdrücklich die Vorschläge Trugers. Letztlich betonte er die Wichtigkeit von Investitionen für Spanien, um die digitale und ökologische Transformation voranzutreiben, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und sozialstaatliche Leistungen auszubauen.
EU-Parlamentarierin Evelyn Regner (S&D) betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, um großflächige Investitionen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Digitalisierung sowie Bildung zu ermöglichen. Bei den Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes müsse das Wohlergehen der Bürger:innen im Mittelpunkt der Bemühungen stehen, so Regner. Die Einführung einer Goldenen Regel für öffentliche Investitionen befürwortete Regner in diesem Sinne explizit. Schließlich verwies sie auf die erfolgreiche Gestaltung und Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), bei welcher das EU-Parlament aktiv eingebunden wurde. Auch bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes brauche es eine gleichermaßen effektive Einbindung des EU-Parlaments.
Gilles Mourre (EU Kommission, DG ECFIN) verwies darauf, dass die Kommission bereits im Februar 2020 eine Evaluierung des Economic Governance Framework veranlasst hatte. In diesem Rahmen wurde auch eine Konsultation gestartet, welche aufgrund der Covid-19 Pandemie jedoch nicht weiter verfolgt wurde. Er kündigte jedoch an, dass die Konsultation in Bälde wiederaufgenommen werden würde. Mourre betonte außerdem, dass die Evaluierung aus dem Frühjahr 2020 immer noch eine gute Grundlage für die derzeitige Diskussion über Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstelle, wenngleich man jedoch auch Lehren aus der Covid-19 Krise ziehen müsse. Letztlich zeigte sich Mourre optimistisch, dass eine Einigung vor 2023 erzielt werden kann, wenn die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auslaufe.