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Gleich mehrere Tage standen diese Woche bei den Brüsseler Büros von AK und ÖGB im Zeichen von Dienstleistungskarte, Entsenderichtlinie und deren Auswirkungen. Die Vorstöße der Kommission regeln die Bedingungen, wie ArbeitnehmerInnen ins EU-Ausland entsandt werden können und sollen darüber hinaus den Verwaltungsprozess vereinfachen. Betroffene Branchen, wie etwa die österreichische Bauwirtschaft, kritisieren jedoch, dass sie den Wettbewerb verzerren sowie Lohn- und Sozialdumping begünstigen.

 

Im Zentrum des Austausches zwischen den österreichischen Bausozialpartnern – Gewerkschaft Bau-Holz (GBH) und Bundesinnung Bau der WKÖ – mit Mitgliedern der Kommission und des Europaparlaments standen Fragen nach dem Nutzen der Dienstleistungskarte, Kernforderungen bei der Überarbeitung der Entsenderichtlinie sowie Wettbewerbsverzerrung durch Lohn- und Sozialdumping.

 

Hohepunkt des Besuchs der österreichischen Bausozialpartnerschaft war eine hochrangig besetzte Podiumsdiskussion, die die Entsenderichtlinie und besonders die Dienstleistungskarte noch einmal vor dem zahlreich erschienenem Publikum am Montagabend zum Thema machte. Einleitend stellte Alexander Pongratz, steirischer Baulandesinnungsmeister und Vize-Präsident des europäischen Bau-Arbeitgeberverbands (FIEC), die Hauptergebnisse einer Studie der TU Graz zum Einfluss von Lohn- und Sozialdumping auf den Wettbewerb in der österreichischen Bauwirtschaft vor. Die Botschaft: Die großen Unterschiede bei Löhnen und Lohnnebenkosten innerhalb Europas, insbesondere mit Blick auf die neueren mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten, beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Baubranche massiv. Hinzu kommt, dass etwa jede vierte bei Arbeitsinspektionen kontrollierte Person, die bei in Österreich agierenden ausländischen Unternehmen angestellt ist, in Verdacht steht, zu niedrig entlohnt zu werden. Im Vergleich dazu ist dies nur bei unter einem Prozent der ArbeitnehmerInnen österreichischer Unternehmen der Fall. Ein fairer Wettbewerb auf legalem Weg mit angemessenen österreichischen Löhnen und umfassendem Sozialschutz ist unter derzeitigem Rahmenbedingungen für die österreichische Baubranche kaum möglich.

 

Eine Dienstleistungskarte, wie sie in der derzeitigen Form vorgesehen ist, brauche es daher erst recht nicht, waren sich die Vertreter der Sozialpartnerschaft, Josef Muchitsch, Vorsitzender der GBH, und Bundesinnungsmeister Hans-Werner Frömmel einig. Es sei zu befürchten, dass weiteres Lohn- und Sozialdumping sowie Scheinselbstständigkeit durch die Dienstleistungskarte nur begünstigt würden, wie Muchitsch weiter ausführte. Einst sei er Befürworter des gemeinsamen Binnenmarkts und der Freizügigkeit gewesen, doch die heutige Realität von Lohn- und Sozialdumping zeige, dass Vieles anders als erwartet gekommen sei. Frömmel ergänzte, dass zwar das Bestreben nach Bürokratieabbau zu begrüßen sei, es jedoch nicht dazu führen dürfe, dass begründete Anforderungen, wie z.B. zertifizierte Qualifikationen, unterwandert werden.

 

Naivität in Bezug auf die Auswirkungen sowie die Umsetzung der Dienstleistungskarte könne man sich nicht leisten, warnte Evelyn Regner, sozialdemokratische Abgeordnete im Europaparlament. Es sei noch nicht einmal die Dienstleistungsrichtlinie aus dem Jahr 2006 richtig verdaut. Ein neues Instrument sei somit fehl am Platz und könne die bestehenden Probleme nicht lösen. Die Verwaltungszusammenarbeit würde bisher ebenfalls eher schlecht funktionieren.

 

Auch Paul Rübig, EVP-Abgeordneter im Europaparlament, stellte den Mehrwert der Dienstleistungskarte in Frage, wobei er jedoch an den vier Grundfreiheiten der EU und insbesondere jener des Binnenmarktes festhielt. Einzig Hubert Gambs, Vertreter der Europäischen Kommission in der Generaldirektion Wachstum, Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, und dort zuständig für die Dienstleistungskarte, betonte die Vorzüge eines solchen Instruments. Ziel sei es, die Wettbewerbsfähigkeit des Dienstleistungssektors, der so wichtig für zukünftiges Wachstum und Beschäftigung sei, zu stärken und die grenzüberschreitende Bereitstellung von Dienstleistungen zu vereinfachen.

 

In der anschließenden Diskussion rief ein Vertreter der Europäische Föderation der Bau- und Holzarbeiter (EFBH) zur Solidarisierung mit osteuropäischen ArbeitnehmerInnen auf. Schließlich seien sie zumeist die Leittragenden der Strategie westlicher Unternehmen, die gezielt Briefkastenfirmen in Osteuropa zum Zwecke des legalen Dumpings eröffneten.

 

Am Mittwochvormittag fand überdies eine vom europäischen Gewerkschaftsbund organisierte Kundgebung gegen die Dienstleistungskarte vor dem Europaparlament statt, die anlässlich der öffentlichen Anhörung zum Thema im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz organisiert wurde. Zentrale Kritikpunkte aus gewerkschaftlicher Perspektive sind weiterhin die mögliche Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür, die Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten durch die Aufnahmeländer, unerwünschte Überschneidungen mit der Überarbeitung der Entsenderichtlinie sowie die Verbreitung von Briefkastenfirmen und Scheinselbstständigkeit.

 

Weiterführende Informationen:

Fotos der Veranstaltung

Blog.arbeit-wirtschaft.at: Europäische Dienstleistungskarte als neues Instrument für Scheinselbständige

AK Positionspapier zur Dienstleistungskarte

AK Positionspapier zur neuen Binnenmarktstrategie