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ZurückDie Themen Geschlechterungleichheit und Erwerbsarmut standen im Mittelpunkt des zweiten Webinars der Veranstaltungsreihe „Social policy in the European Union“ des Europäischen Gewerkschaftsinstituts und des European Social Observatory, das in Kooperation mit AK EUROPA durchgeführt wurde.
Die diesjährige und mittlerweile 21. Ausgabe von „Social policy in the European Union: State of play“ steht ganz im Zeichen der Coronakrise, weshalb die AutorInnen nicht nur die soziale Agenda der EU im Jahr 2019 untersuchten, sondern auch die unterschiedlichen pandemiebedingten Maßnahmen der europäischen Länder von Januar bis Juli 2020 in den Fokus rückten.
Nicola Countouris (EGI) eröffnete die Veranstaltung mit der Feststellung, dass die Coronakrise Männer und Frauen nicht gleichermaßen treffe. So seien Frauen beispielsweise besonders durch das Verschwimmen der Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum benachteiligt und überproportional in systemerhaltenden Berufen vertreten. Beides führte er auf eine jahrzehntelange Politik des Neoliberalismus zurück.
Petra Völkerer (AK EUROPA) untermauerte Nicola Contouris‘ Befund mit Daten für Österreich und kam zu dem Schluss, dass seit dem Beginn der Pandemie ein klarer Rückschritt in traditionellere Rollenmuster zu beobachten ist. Vor allem Frauen erledigen den überwiegenden Teil der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit. Daher sei es nötig, dass sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene längst überfällige Schritte gesetzt werden, wie etwa unbezahlte Arbeit sichtbarer zu machen beziehungsweise die deutliche Erhöhung von Einkommen in systemrelevanten, häufig frauendominierten Branchen. An die Europäische Kommission richtete sie die Aufforderung, den Richtlinienvorschlag zur Lohntransparenz, der bereits für 2020 angekündigt wurde, endlich zu veröffentlichen.
Jill Rubery und Isabel Tavora von der Universität Manchester, Autorinnen des Kapitels über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Geschlechtergleichheit, forderten ein Recht auf Homeoffice für Eltern während Phasen des Homeschoolings. Sie berichteten auch von einigen positiven Entwicklungen und davon, dass aus den Fehlern, die im Anschluss an die Finanzkrise begangen wurden, teilweise durchaus gelernt wurde. Ramón Peña-Casas (OSE), Autor des Kapitels über Erwerbsarmut, betonte die enormen Ausmaße des Problems, denn das betreffe in der EU mittlerweile rund 20.8 Millionen Angestellte und Selbstständige. In der Europäischen Mindestlohninitiative sieht er eine Teillösung, verweist allerdings auch auf die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen – etwa bei der Sozialversicherung.
Maria Jepsen (Eurofound) betonte, dass Frauen auch in jenen Sektoren überrepräsentiert sind, die nahezu komplett und für voraussichtlich längere Zeit heruntergefahren wurden – beispielsweise in der Luftfahrt oder im Tourismus. Für sie stellt sich als eine der ganz zentralen Fragen, ob die aktuelle Krise für einen Paradigmenwechsel genutzt werden kann und ob die Debatte über einen Mindestlohn mit jener über die wichtige Rolle von Frauen für die Systemerhaltung verknüpft werden kann.
Auch Juliane Bir vom EGB betonte, dass die Auswirkungen der Covid-19-Krise – wie zuvor auch schon der Finanzkrise – keinesfalls geschlechterneutral seien. Bezüglich konkreter legislativer Maßnahmen unterstrich sie die Wichtigkeit der EU-Richtlinie zur Lohntransparenz – aufgrund der Verzögerung des Richtlinienvorschlags hatte der EGB zu Beginn des Jahres sogar eine Social Media Kampagne gestartet.
Mary Collins von der European Women’s Lobby verwies auf Simone de Beauvoir und deren Prognose, dass es nur eine Krise brauche, um sämtliche Errungenschaften hinsichtlich der Gleichstellung der Frau in Frage zu stellen. Sie forderte mehr Konsequenz bei Gender Mainstreaming und Gender Budgeting ein. Ihrer Meinung nach seien wirkliche Fortschritte nur mit Quoten zu erreichen, wie auch die Debatten rund um Frauen in den Aufsichtsräten zeigen.
Weiterführende Informationen:
ETUI: Social policy in the European Union: state of play 2020
Oxfam: 12 Milliarden Stunden Arbeit – ohne bezahlt zu werden
A&W Blog: Lohntransparenz – Was die EU aus Erfahrungen in Österreich lernen kann