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ZurückUnmittelbar vor Neujahr 2022 traf die EU-Kommission eine weitreichende Entscheidung: Fossiles Gas und Atomkraft sollen im Rahmen der Taxonomie-Verordnung als grüne Investitionen eingestuft werden. Während eine Mehrheit der EU-Staaten diesen delegierten Rechtsakt begrüßt, positioniert sich Österreich auf Seiten der Gegner:innen an vorderster Stelle und droht auch mit einer Klage. Die Chance, dass der Vorstoß der Kommission durch den Rat blockiert wird, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Größer scheint der Widerstand im Europäischen Parlament, das ebenfalls ein Veto einlegen kann.
Welche Investitionen und welche wirtschaftlichen Tätigkeiten sind grün und ökologisch nachhaltig? Und welche tragen tatsächlich zur Erreichung der Klimaziele bei? Um diese Fragen klar zu regeln und Greenwashing – also das „Verkaufen“ wenig nachhaltiger Tätigkeiten als grün – zu vermeiden, hat die EU im Juni 2020 die Taxonomie-Verordnung beschlossen. Diese gibt einen Überblick über nachhaltige Produkte und Investitionen für private Anleger:innen und Firmen, indem sie festlegt, welche Technologien als umweltfreundlich gelten und welche nicht. Am Silvesterabend 2021 hat die Kommission die noch ausstehende Einstufung von Atomkraft und fossilem Gas getroffen. Laut dem Entwurf dieses Rechtsaktes sollen diese unter bestimmten Voraussetzungen als grüne Energiequelle klassifiziert werden und somit als Übergangstechnologie hin zu 100 % nachhaltiger Energieerzeugung genutzt werden können.
Einstufungskriterien
Investitionen in neue Atomkraftwerke sollen nur dann als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen den neuesten technischen Standards entsprechen und wenn sichergestellt werden kann, dass sie keinen signifikanten Schaden für die Umwelt verursachen. Das schließt die sichere Entsorgung von Atommüll ein. Eine weitere Bedingung ist, dass die neuen Atomkraftwerke bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten. Auch Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise als grün eingestuft werden können. Relevant ist hier die Höhe der Treibhausgasemissionen: Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, soll auf den Lebenszyklus gerechnet nur noch eine Emission von maximal 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde zulässig sein. Dieser Grenzwert für eine Klassifizierung als grün ist recht streng, denn sogar die effizientesten Gaskraftwerke überschreiten derzeit deutlich diesen Wert. Laut E-Control liegt dieser Wert bei österreichischen Gaskraftwerken knapp über 300.
EU-Staaten uneins
Die Entscheidung, Gas und vor allem Atomkraft als klimafreundlich einzustufen, ist unter den EU-Staaten stark umstritten. Die Mehrheit befürwortet diese Einstufung, da Atomkraft in ihren Augen nicht nur leistbar und stabil, sondern auch CO2-neutral und somit wichtig für die Erreichung der EU-Klimaziele sei. Allen voran steht Frankreich, welches 70 % des Energiebedarfs mit Atomenergie deckt und daher als großer Profiteur einer solchen Regelung gilt. Aus Gründen der Atomstromabhängigkeit zählen auch die ost- und südosteuropäischen Länder und Finnland zu den Befürworterstaaten. Dem gegenüber stehen Österreich, Deutschland, Luxemburg, Dänemark, Spanien und Portugal, welche sich klar gegen die Aufnahme von Atomkraft aussprechen. Österreich und Luxemburg wollen sogar auf Grundlage eines Rechtsgutachtens Klage gegen die EU-Kommission einreichen, sollte der Rechtsakt unverändert bleiben.
Nächste Schritte
Derzeit werden Expert:innen der „Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen“ und der „Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen“ angehört. Daran anschließend will die Kommission den delegierten Rechtsakt noch im Jänner 2022 förmlich annehmen und damit dem Europäischen Rat und dem Parlament offiziell vorlegen. Diese haben dann maximal sechs Monate Zeit, die Vorlage zu analysieren und gegebenenfalls ein Veto einzulegen. Aufgrund der hohen Hürde für ein Veto von mindestens 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten, ist vom Rat kein Veto zu erwarten. Spannender wird es jedoch im Europäischen Parlament, denn dort reicht eine einfache Mehrheit der Abgeordneten für ein Veto, die nach Einschätzung von MEP Günther Sidl möglich ist.
Umweltorganisationen empört
Währenddessen üben Umweltorganisationen starke Kritik am Vorstoß der Kommission und beanstanden, dass die europäische Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit hatte, sich anhand eines Konsultationsprozess einzubringen. Fossiles Gas als nachhaltige Technologie einzustufen sei nicht mit den Klimazielen der EU für 2030 vereinbar, denn jede weitere Investition in fossiles Gas entferne uns laut IEA von dem Ziel, die globale Erderwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Auch die Klassifizierung von Atomenergie wird als klarer Bruch des Grundsatzes der Taxonomie-Verordnung gesehen, da damit andere Umweltziele, wie jene der Kreislaufwirtschaft, der biologischen Vielfalt und der Verringerung der Umweltverschmutzung in Hinblick auf den dafür notwendigen Uranabbau und der Entsorgung nuklearer Abfälle, konterkariert werden.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: EU-Taxonomie, Kommission leitet Expertenkonsultation ein
AK EUROPA: „Fit for 55“ Paket III: Energieeffizienzrichtlinie
AK EUROPA: „Fit for 55“-Paket IV: Richtlinie über Erneuerbare Energien