Nachrichten
ZurückAm 8. Juni 2020 befragten Mitglieder des Wirtschafts- und Währungsausschusses (ECON) des Europäischen Parlaments die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, zu den Krisenmaßnahmen der EZB im Kontext der Coronakrise.
Der zweite monetäre Dialog in diesem Jahr zwischen EZB-Präsidentin Christine Lagarde und dem ECON-Ausschuss begann mit düsteren Aussichten: Als neueste Prognose der EZB stellte Lagarde das „mittlere Szenario“, also weder das Schlimmste, noch das Mildeste, vor. Die EZB geht demnach von einer Rezession von 8,7 % in der Eurozone für das gesamte Jahr 2020 aus. In der Frühjahrsprognose ging die Kommission für 2020 von einem Minus von 7,7 % aus und wurde damit noch einmal nach unten korrigiert. Für 2021 wird von der EZB ein Wirtschaftswachstum von 5,2 % prognostiziert, im Jahr 2022 soll es bei 3,3% liegen.
Instrument für Anleihenaufkäufe wird aufgestockt und verlängert
Zu Beginn der Coronakrise und in Reaktion auf den weitgehenden Stillstand der Wirtschaft brachte die Europäische Zentralbank Liquiditätshilfen auf den Weg, um verheerende Spekulationen auf den Finanzmärkten zu verhindern: Am 18. März 2020 wurde das „Pandemic Emergency Purchase Programme“ (PEPP) als geldpolitische Sofortmaßnahme beschlossen, das am 26. März in Kraft trat.
Vor dem ECON-Ausschuss bestätigte Christine Lagarde zunächst die Aufstockung und Verlängerung der Corona-Notfallmaßnahme PEPP. Neben den im März beschlossenen 750 Milliarden Euro will die EZB mit weiteren 600 Milliarden auf dem Kapitalmarkt intervenieren. Das Gesamtvolumen des Instruments steigt demnach auf 1,35 Billionen Euro. Auch die Laufzeit dieser Anleihenaufkäufe soll bis Juni 2021 ausgeweitet werden und frühestens enden, wenn der EZB-Rat die Krise für überstanden erklärt. Durch den Ankauf von mehrheitlich Staatsanleihen, aber auch Anleihen von Unternehmen, liefert die EZB laut Lagarde einen „wichtigen geldpolitischen Impuls“, der zielgenau, wirksam und verhältnismäßig sei. Durch die Aufkäufe werden die Finanzmärkte bei gleichbleibendem Null-Leitzins stabilisiert und die Liquidität der Banken gesichert, die ihrerseits weiterhin als KreditgeberInnen für Unternehmen und Haushalte funktionieren können. Des Weiteren können sich Staaten so zu ähnlichen Konditionen Geld auf dem Kapitalmarkt leihen.
Abgeordnete lobten Reaktion der EZB mehrheitlich
Die Mehrheit der Abgeordneten des ECON-Ausschusses lobten die schnelle Krisenreaktion der EZB. Auch wenn Kritik an fehlenden Obergrenzen oder Nichtbeachtung der Kapitalmarktschlüssel geäußert wurde, sei es vielmehr der instabilen Architektur der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und der unfertigen Kapitalmarktunion geschuldet, dass die EZB wieder einmal als Feuerlöscherin der ersten Stunde einspringen musste. Abgeordnete sahen die EU-Institutionen in der Pflicht, endlich für eine robuste und langfristige europäische Steuer- und Fiskalpolitik zu sorgen. Hierfür sind für die AK vor allem Maßnahmen gegen Steuervermeidung internationaler Konzerne und die Schaffung einer goldenen Investitionsregel notwendig, um der öffentlichen Hand einen größeren budgetären Spielraum zu geben.
Reaktionen auf Karlsruher Urteil
Anfang Mai 2020 hatte das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts für Wirbel gesorgt, da die Karlsruher RichterInnen Anleihenkäufe der EZB als teilweise verfassungswidrig einstuften. Das Urteil bezog sich auf das 2015 gestartete „Public Sector Purchase Programme" (PSPP), im Zuge dessen die EZB zur Stabilisierung der Inflationsrate Staatsanleihen kaufte. Der europäische Gerichtshof erklärte die Aufkäufe bereits im Dezember 2018 als rechtskonform. In den Augen des deutschen Verfassungsgerichts ist die Frage der Verhältnismäßigkeit der EZB-Aufkäufe allerdings nicht ausreichend geklärt. Auf Nachfrage mehrerer Abgeordneter verwies Lagarde darauf, dass sich das Urteil nicht auf die aktuellen Anleihenaufkäufe bezöge und rief in Erinnerung, dass die EZB in erster Linie der Rechtsprechung des EuGH unterstellt sei. Aus Sicht der AK muss dieses Urteil auch zu einer Diskussion über eine Änderung der Europäischen Verträge führen, um eine solidarische, ökologische und demokratische Lösung der durch das Coronavirus ausgelösten Wirtschaftskrise in Europa durchsetzen zu können, beispielsweise zur Einführung von Coronabonds.
Liquiditätsspritzen für VerschmutzerInnen?
Die EZB kauft im Rahmen des PEPP-Programms auch Anleihen von Unternehmen auf. Obwohl die Unterstützung einer nachhaltigen Ausrichtung der europäischen Finanzpolitik auch Teil des Green Deals ist, wurden Anleihen von Shell und anderen fossilen Energieunternehmen aufgekauft, die gar noch Dividenden an AnteilseignerInnen auszahlten. Die Frage vieler Abgeordneten, wie das mit den Leitlinien einer nachhaltigen Finanzwirtschaft zusammenpasse, verwies Lagarde lediglich darauf, dass die EZB empfehle, auf Dividendenauszahlungen zu verzichten. Weiterhin fehle es derzeit noch an Daten über „braune“, also verschmutzende Vermögenswerte. Die EZB sehe sich im Rahmen ihres Mandats weiterhin dazu verpflichtet, nachhaltiges Wirtschaften zu unterstützen und verwies auf die Vorreiterrolle des Euros bei „grünen Bonds“ im Vergleich zu anderen Währungen. Diese Themen sollten in zukünftigen Dialogen und in der Überprüfung der währungspolitischen Strategie der EZB aufgegriffen werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Europäische Zentralbank kündigt Überprüfung ihrer währungspolitischen Strategie an
A&W blog: 1.500 Milliarden für einen europäischen Marshall-Plan – (wie) ist das finanzierbar?