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In der Hochzeit der Finanzmarktgläubigkeit galt sie als Inbegriff von Modernität und Fortschrittlichkeit. Die Finanzmarktrichtlinie, auch MIFID genannt, wollte Schluss machen mit dem biederen Handel von Wertpapieren über altmodische Börsen. An ihre Stelle sollten neue Handelsplattformen treten, die den Wettbewerb anheizen. Heute zeigt sich, dass der Zauberlehrling außer Kontrolle geraten ist. Den Behörden fehlt die Auf- und Übersicht, und der Dschungel an AnbieterInnen hat neue Geschäftsmöglichkeiten für Profiteure geschaffen, die mit ultraschnellen Computern minimale Preisdifferenzen ausnutzen. Kommission und Parlament wollen jetzt wieder zurückrudern.
Die „Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente“ (MIFID, auch „Finanzmarktrichtlinie“ genannt) wurde in der Hochzeit der Finanzmarktgläubigkeit 2001 verabschiedet, trat jedoch erst 6 Jahre später, im Jahr 2007, in Kraft.

Der Handel mit Wertpapieren sollte nach dem Willen der Kommission und der Mitgliedstaaten nicht alleine dem Monopol der Börsen überlassen werden, sondern dereguliert und liberalisiert werden. Das Verbot, dass Aktien nicht außerhalb staatlich beaufsichtigter Börsen gehandelt werden dürfen, wurde mit der MIFID abgeschafft.

Die Liberalisierung des Wertpapierhandels hat in der Folge zum Entstehen einer ganzen Reihe von sogenannten alternativen Handelsplattformen (elektronische Börsen, multilaterale Handelsplattformen, etc.) geführt, die zunehmend den (Preis-)Wettbewerb mit den traditionellen, regulierten Börsen angeheizt haben.

Ein wesentlicher Aspekt der „Liberalisierung“ des Wertpapierhandels war die Frage der Aufsicht und Regulierung. Die neu entstandenen Handelsplattformen konnten einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen, dass sie nur einer „Börse-light“ Regulierung unterworfen sind. Allerdings mit einem entscheidenden Nachteil: Die Überwachung des Handelsgeschehens und der Preisbildung sowie die Entdeckung von Preismanipulationen sind wenn überhaupt nur sehr schwer möglich.

Kein Wunder, dass nach Einführung der MIFID die neuen Handelsplattformen sehr rasch den traditionellen Börsen große Marktanteile abgeknabbert haben. Der Regulierungswettbewerb nach unten – die sogenannte „regulatorische Arbitrage“ - hat in weiterer Folge auch dazu geführt, dass die Regulierung herkömmlicher Börsen Schritt für Schritt zurückgenommen wurde.

Die Finanzmarktlobbies führen immer wieder an, dass der Wettbewerbsdruck zu mehr Auswahl für InvestorInnen und zu niedrigeren Preisen führt. Ein Argument, dass so nicht wirklich zieht. Vielmehr hat sich gezeigt, dass durch das Auftauchen verschiedener Handelsplätze die Preisbildung deutlich unübersichtlicher wurde und AnlegerInnen erhebliche Kosten bei der Suche nach dem niedrigsten Preis entstehen. So äußerte beispielsweise die französische Finanzmarktaufsicht deutliche Bedenken ob der Integrität des Marktes und des Preisbildungsprozesses.

Dass private AnlegerInnen und KleinanlegerInnen von den vielbeschworenen Preissenkungen durch mehr Wettbewerb herzlich wenig haben, versteht sich fast von selbst. Sie dürfen nämlich nicht auf alternativen Handelsplattformen direkt zugreifen. Und Banken und BrokerInnen, die solche Plattformen nutzen, denken in den seltensten Fällen daran, niedrigere Gebühren an private Investoren weiterzugeben, wie Untersuchungen zu den Gebühren deutlich zeigen.

Die neue Unübersichtlichkeit bei den Handelsplattformen hat jedoch eine neue Spezies von SpekulantInnen zum Leben erweckt, die sogenannten ArbitrageurInnen. Sie nutzen mithilfe von superschnellen Computern Kursabweichungen zwischen den Handelsplattformen und Börsen zu ihrem eigenen Profit aus. So macht der sogenannte Hochfrequenzhandel nach Branchenschätzungen bereits zwischen 60 und 70% aller Transaktionen aus. Das Geschäftsmodell ist einfach: Niedrige Margen, aber hohe Volumina. Kleinvieh macht auch Mist. Diese neuen Umsatzmöglichkeiten haben keinen Bezug zur realen Wirtschaft und tragen zur Unübersichtlichkeit und Systeminstabilität bei. Aus diesem Grund fordern ArbeitnehmervertreterInnen die europaweite Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die solche Luftgeschäfte deutlich unattraktiver machen würde.

Auch über die HauptprofiteurInnen der neuen Handelsplattformen muss gesprochen werden. In vielen Fällen werden die alternativen Börsen nämlich von den Banken selbst gegründet. So gehört beispielsweise der neue Branchenriese Chi-X zu einem Drittel der japanischen Großbank Nomura, weiter beteiligt sind Goldman Sachs und UBS. Neue Handelsplattformen werden also von Banken mit dem Ziel gegründet, die Handelsgebühren zu senken und die Regulierung zu umschiffen - wovon sie selbst am meisten profitieren.

Die Vielzahl an Problemen, die dieser Deregulierungsschritt der Kommission und der Mitgliedstaaten bewirkt hat, veranlasst die Kommission jetzt zu einem neuen Nachdenkprozess. Die Kommission möchte die Richtlinie überarbeiten und hat dazu eine umfassende Konsultation gestartet.

Auch das Europäische Parlament hat sich in dieser Woche mit dem Thema beschäftigt. Die Abgeordneten haben einen Initiativbericht der britischen konservativen Abgeordneten Kay Swinburne gebilligt, der dazu aufruft, alternative Handelsplattformen in Zukunft ebenso zu regulieren und zu beaufsichtigen wie traditionelle Börsen. Das Rad der Deregulierung soll wieder zurück gedreht werden, sie hat sich in der Praxis als ideologisch gefärbter Irrweg erwiesen. Bleibt zu hoffen, dass sich die Politik gegen den Widerstand der Finanzindustrie durchsetzt.

Weiterführende Informationen:

Konsultationsdokument der Europäischen Kommission zu MIFID (nur in Englisch)

Presseaussendung der Europäischen Kommission zu MIFID

Bericht des Europäischen Parlaments (Kay Swinburne) über die Regulierung des Handels mit Finanzinstrumenten