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ZurückWährend Rat und Europäisches Parlament noch über eine Verknüpfung entsprechender Prinzipien mit dem EU-Budget verhandeln, präsentierte die EU-Kommission am 30. September 2020 die erste Ausgabe ihres jährlichen Berichts über die Rechtsstaatlichkeit. Im Vorfeld dazu forderte der ungarische Premierminister Viktor Orbán den Rücktritt der verantwortlichen Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová.
Die Auszahlung von Geldmitteln im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) soll in Zukunft an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft werden – so zumindest der Wunsch vieler. Kritik daran kommt jedoch vor allem aus den Mitgliedsstaaten Ungarn und Polen. Nun veröffentlichte die EU-Kommission erstmals ihren zukünftig jährlich erscheinenden Bericht über die Rechtsstaatlichkeit. Dieser enthält Länderkapiteln zu allen Mitgliedstaaten und umfasst als Eckpfeiler die nationalen Justizsysteme, die Rahmen für Korruptionsbekämpfung, freie und pluralistische Medien sowie institutionelle Aspekte im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung. Im Bericht äußert die Kommission ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen und ungarischen Justiz. Herausforderungen hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit gebe es laut dem Bericht aber auch hinsichtlich Korruption (etwa in Kroatien und Tschechien), politischem Druck auf die Medien (beispielsweise in Bulgarien und Malta) sowie bezüglich Angriffen auf JournalistInnen (unter anderem in Slowenien und Spanien). Aber auch Österreich findet Erwähnung. Hier werden etwa das Weisungsrecht des Justizministers bzw. der Justizministerin gegenüber der Staatsanwaltschaft sowie die unfaire und intransparente Vergabe von Inseraten der Bundesregierung kritisiert. Ein besonderes Augenmerk legt der Bericht außerdem auf Maßnahmen, die im Rahmen der Coronakrise ergriffen wurden.
„Grundvoraussetzung für den Schutz der anderen Werte“
Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit soll einen präventiven Charakter haben und in Zukunft jährlich erscheinen. Geht es nach der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, soll er außerdem als Grundlage für einen im Rat der Europäischen Union geführten Dialog zum Thema Rechtsstaatlichkeit dienen. Dieser soll einerseits eine jährliche Aussprache über den Bericht als Ganzes sowie die systemischen Probleme in der EU umfassen, andererseits aber auch eine halbjährliche Debatte über die länderspezifischen Kapitel des Berichts zur Folge haben. Angestrebt wird – dem Programm der deutschen Ratspräsidentschaft zufolge – ein besseres Verständnis über die spezifische Situation in den einzelnen Mitgliedsstaaten, um „Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und gegenseitige Unterstützung anbieten zu können“.
Orbán verlangt Rücktritt Jourovás
Währenddessen hat der ungarische Premierminister Viktor Orbán in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Rücktritt von Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová verlangt. Jourová hatte zuvor in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin ´Der Spiegel´ davon gesprochen, dass Orbán eine „kranke Demokratie“ aufbaue. Sie bezog sich dabei auch auf den großen Einfluss Orbáns auf die ungarische Medienlandschaft. Ein Großteil der ungarischen Bevölkerung sei deshalb womöglich nicht mehr in der Lage, sich eine eigenständige Meinung über das Staatsoberhaupt zu bilden, so Jourovás Befürchtung. Von der Leyen stärkt Jourová indessen den Rücken. Sie habe vollstes Vertrauen in die Kommissarin und arbeite bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit eng mit ihr zusammen. Kritik an Orbáns Äußerungen kommt auch aus dem EU-Parlament. So sprach etwa SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath Jourová ihre volle Unterstützung aus: „Wenn eine Frau in klarer Sprache Missstände aufzeigt, werden autoritäre Machthaber nervös“.
Deutscher Kompromissvorschlag bleibt hinter den Erwartungen
Kritik kommt von Vollath aber auch am Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft für einen Rechtsstaatsmechanismus im Rahmen des MFR, der am 28. September 2020 vorgelegt wurde. Dieser ermögliche keine Handhabe, „wenn die Arbeit unabhängiger Gerichte beschnitten, die Medienfreiheit abgeschafft oder die Rechte von LGBTIQ Personen mit Füßen getreten werden“, so Vollath.
Weiterführende Informationen:
A&W Blog: Ungarn und die Corona-Krise: The Dictator ist coming!