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ZurückAm 2. Dezember 2019 sprach Christine Lagarde als neu bestellte Präsidentin der Europäischen Zentralbank erstmals vor dem Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments. Neben den aktuellen wirtschaftlichen Kennzahlen kündigte die Französin an, die währungspolitische Strategie der EZB erstmals seit 16 Jahren wieder einer Überprüfung zu unterziehen.
Im drei-Monats-Rhythmus steht die bzw. der PräsidentIn der Europäischen Zentralbank dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments (ECON) im Rahmen des sogenannten Währungspolitischen Dialogs Rede und Antwort. Für Christine Lagarde war es der erste Auftritt vor den Mitgliedern des EU-Parlaments, da sie am 1. November die Funktion der Präsidentin der EZB übernommen hatte. Dementsprechend wurde ihr Auftritt auch mit Spannung erwartet.
Wie auch ihr Vorgänger Mario Draghi begann sie mit aktuellen Kennzahlen aus dem EU-Wirtschaftsraum: Das Wachstum innerhalb des Euroraumes verlangsamte sich in den letzten Monaten, im dritten Quartal des Jahres 2019 liegt es nur mehr bei 0,2 %. Als Grund nannte sie vor allem an der gesunkenen internationalen Nachfrage. Es ist in erster Linie das produzierende Gewerbe, das von der Abschwächung betroffen ist. Auf der anderen Seite sind es die europäische Binnennachfrage und die Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt, die die Verlangsamung nicht noch stärker ausfallen lassen.
Aufgrund der sinkenden wirtschaftlichen Aktivitäten betrug nach Berechnungen von Eurostat die Inflation im November 2019 genau 1 %. Beim Blick in die Zukunft sprach Lagarde von einer „möglicherweise historisch niedrigen“ zu erwartenden Preissteigerung. Für ein stabiles Preisniveau, das als Ziel der EZB verankert ist, soll die Inflation jedoch knapp unter 2 % liegen. Die EZB will deshalb vor allem auf die Stärkung der Binnennachfrage setzen. Dabei bestätigte sie die im September 2019 von der EZB beschlossenen Maßnahmenbündel, zu dem die Senkung des EZB-Leitzinssatzes auf -0,5 % und die Wiederaufnahme von Anleihekäufen durch die EZB zählen.
Christine Lagarde kündigte zudem eine Überprüfung der währungspolitischen Strategie der EZB an. Eine derartige Überprüfung wird von Nationalbanken regelmäßig durchgeführt, für die EZB fand diese jedoch vor 16 Jahren letztmals statt. In diesem Zeitraum ergaben sich bekanntermaßen eine Reihe zentraler Entwicklungen – von der größer gewordenen Zahl an Eurostaaten bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 – weshalb eine Überprüfung der Strategie der EZB aus Sicht Lagardes überfällig sei. In diesem Rahmen will sich die EZB auch mit der Frage beschäftigen, welchen Beitrag die EZB im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann. Auf die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt diese Überprüfung abgeschlossen sein soll, wollte Lagarde kein konkretes Datum nennen.
Aus Sicht der Arbeiterkammer ist es von zentraler Bedeutung, dass in der Europäischen Union eine wohlstandsorientierte und nachhaltige Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt ihrer Ausrichtung rückt und damit Ziele wie Vollbeschäftigung sowie ein hohes Niveau an fair verteiltem materiellen Wohlstand verfolgt. Zudem müssen die Mitgliedstaaten einen größeren budgetären Spielraum für öffentliche Investitionen in Form einer „goldenen Investitionsregel“ erhalten. Damit würde auch die Binnennachfrage nachhaltig gestärkt werden, um so das Wirtschaftswachstum zu erhöhen und langfristig zu sichern.
Mit Christine Lagarde ist erstmals eine Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Dennoch kann auch bei dieser Institution von keiner Geschlechterparität die Rede sein. Sie ist davon weiter entfernt als viele andere EU-Institutionen: Im 25-köpfigen EZB-Rat ist Christine Lagarde die einzige Frau. Befragt nach diesem Ungleichgewicht hielt sie auch unmissverständlich fest: Die Geschlechterverteilung dieses wichtigsten Gremiums der EZB ist kein guter Spiegel für unsere Gesellschaft. Sie forderte deshalb alle EntscheidungsträgerInnen auf, Frauen zu unterstützen. Dieser Ruf richtet sich in vor allem auch an die 19 Nationalbanken der Eurostaaten, denn deren Gouverneure sind automatisch Mitglieder dieses Gremiums.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Positionspapier: Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030
AK EUROPA: EZB-Chef Draghi fordert Reform der Wirtschafts- und Währungsunion