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ZurückAm 16. Oktober 2023 haben die zuständigen Ausschüsse des EU-Parlaments mit überwältigender Mehrheit ihre Position zum geplanten Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt verabschiedet. Außerdem schlagen die Abgeordneten wesentliche Verbesserungen vor und sprechen sich für eine Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter:innen und eine Beweislastumkehr aus. Nun ist es wichtig, dass auch die Verhandlungen im Rat rasch vorangehen, damit der Rechtsakt noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden kann.
Etwa 28 Millionen Menschen weltweit verrichten Zwangsarbeit. Um dagegen vorzugehen, hatte das EU-Parlament bereits im Juni 2022 mit fast einstimmiger Mehrheit eine Entschließung für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit angenommen. In Folge legte die EU-Kommission im September 2022 einen Verordnungsentwurf vor. Seither gehen die Verhandlungen im Rat nur sehr schleppend voran. Das EU-Parlament hat hingegen rasch die Arbeit aufgenommen. Da das geplante Produktverbot sowohl innerhalb des EU-Binnenmarktes hergestellte als auch importierte Produkte betrifft, sind der Binnenmarktausschuss (IMCO) mit der Berichterstatterin Maria-Manuel Leitão-Marques (S&D) und der Ausschuss für Internationalen Handel (INTA) mit der Berichterstatterin Samira Rafaela (Renew) gemeinsam federführend zuständig.
„Historische“ EP-Abstimmung
Am 16. Oktober 2023 haben IMCO und INTA in einer gemeinsamen Sitzung ihren Bericht zum geplanten Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt verabschiedet. Die Abstimmung wurde aus zwei Gründen als „historisch“ bezeichnet: Zum einen wurde darauf hingewiesen, dass rund 100 Jahre nach der Unterzeichnung der ILO-Konvention 29 betreffend das Verbot von Zwangsarbeit erstmals auf EU-Ebene ein effektives Instrument zur Bekämpfung von Zwangsarbeit geschaffen wird. Zum anderen wurde auf die große Einigkeit des EU-Parlaments hingewiesen: Der Bericht des IMCO/INTA wurde ohne Gegenstimme angenommen. Bei 10 Enthaltungen stimmten 66 Ausschussmitglieder dafür. Die Abänderungen enthalten wesentliche Verbesserungen zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission und sind aus AK-Sicht zu begrüßen.
EP will Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter:innen und Beweislastumkehr
Der Vorschlag sieht vor, dass Produkte aus Zwangsarbeit vom Markt genommen werden müssen. Die Produkte werden von den Behörden eingezogen und können weder innerhalb des Binnenmarktes verkauft noch importiert oder exportiert werden. Außerdem ist dem Vorschlag nach ein von den Behörden verhängtes Produktverbot zu widerrufen, wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Zwangsarbeit eingestellt wurde. Das EU-Parlament fordert dem hingegen, dass ein Produktverbot erst dann aufgehoben werden darf, wenn die betroffenen Zwangsarbeiter:innen auch Wiedergutmachung erhalten haben. Die Perspektive der Betroffenen fehlt im Kommissionsvorschlag zur Gänze. Die vom EU-Parlament beschlossene Abänderung ist daher aus AK-Sicht entscheidend.
Wesentlich ist auch die vom EU-Parlament beschlossene Beweislastumkehr. Laut Vorschlag der EU-Kommission muss die Behörde ausführliche Untersuchungen durchführen und darf ein Produktverbot nur bei nachgewiesener Zwangsarbeit verhängen. Aus Sicht der AK sollte die Erbringung des Nachweises jedoch nicht auf den Behörden lasten. Vielmehr sollten die Unternehmen nachweisen müssen, dass keine Zwangsarbeit vorliegt (Beweislastumkehr). Das EU-Parlament fordert eine Beweislastumkehr zumindest in Fällen staatlich verordneter Zwangsarbeit. Ein weitere EP Forderung betrifft die Zuständigkeit zur Durchführung von Untersuchungen und Verhängung von Produktverboten. So soll zusätzlich zur Zuständigkeit der nationalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten die EU-Kommission „als 28. Behörde“ in die Pflicht nehmen.
Zu kurze Fristen
Die AK hat gemeinsam mit Gewerkschaften und NGOs im Vorfeld der Abstimmung vom 16. Oktober 2023 in einem offenen Brief wichtige Forderungen zum Verordnungsvorschlag an die Mitglieder des IMCO/INTA übermittelt. Erfreulicherweise wurden einige Punkte aufgegriffen. Aus Sicht der AK gibt es jedoch auch einen Wermutstropfen: Während der Kommissionvorschlag vorsieht, dass die Behörde nach Einleitung der Untersuchung innerhalb einer „angemessenen Frist“ entscheiden muss, ob sie ein Produktverbot verhängt oder das Verfahren einstellt, will der IMCO/INTA der Behörde lediglich 90 Tage Zeit einräumen. Diese Frist ist viel zu kurz. Die Behörde muss - mit Ausnahme der oben genannten Sonderregelung bei staatlich verordneter Zwangsarbeit - den Nachweis erbringen, dass Zwangsarbeit vorliegt. Innerhalb von drei Monaten wird dies in vielen Fällen nicht möglich sein, hier ist unbedingt eine längere Frist erforderlich.
Die nächsten Schritte
Die Co-Berichterstatterinnen des EU-Parlaments wiesen anlässlich der IMCO/INTA-Abstimmung auf die Situation der Uiguri:nnen in China hin, die zu staatlich verordneter Zwangsarbeit, z.B. auf Fischereischiffen gezwungen werden. Sie richteten einen Appell an den Rat, das Tempo zu erhöhen. Nach der überwältigenden Mehrheit im IMCO/INTA ist zu erwarten, dass das EU-Parlament den Bericht im Plenum bestätigen wird. Sobald der Rat seine Position festgelegt hat, können die Trilog-Verhandlungen beginnen. Ziel ist es, die Verordnung noch vor der EP-Wahl im Juni 2024 zu verabschieden.
Weiterführende Links:
AK EUROPA: Offener Brief zur Verordnung zu Produkten aus Zwangsarbeit
AK EUROPA: Vorschlag zum EU-Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit
AK EUROPA: Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt
EU-Kommission: Kommission verbannt in Zwangsarbeit hergestellte Produkte
EU-Parlament: Entschließung für ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit