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ZurückDrei Jahre, nachdem die Europäische Kommission eine Überarbeitung der Eisenbahnfahrgastrechte vorgeschlagen hat, erzielten die VertreterInnen des Europäischen Parlaments sowie des Rates am 1. Oktober 2020 eine politische Einigung zu diesem Dossier. Positive Neuerungen, die die Eisenbahn für Reisende attraktiver machen würde, finden sich im Kompromiss bedauerlicherweise aber kaum, dafür aber konkrete Verschlechterungen.
Seit 2007 bietet die Verordnung über die Rechte von Eisenbahnfahrgästen in Europa einen Mindestschutz für PassagierInnen. Die zuständigen BerichterstatterInnen des Europäischen Parlaments sowie der deutsche Ratsvorsitz ließen bei den Trilogverhandlungen aber die Chance aus, diese Rechte im Sinne der KonsumentInnen auszubauen. Stattdessen sollen die Rechte der EisenbahnkundInnen teilweise sogar beschnitten werden.
Als wohl größte Verschlechterung ist der Umstand zu sehen, dass die Eisenbahnunternehmen bei übermäßigen Verspätungen zukünftig keine Entschädigung mehr zu leisten haben, wenn diese aufgrund von „höherer Gewalt“ entstanden sind. Diese Klausel zur höheren Gewalt ist bereits bei den Passagierrechten im Bus- und Schifffahrtssbereich sowie im Flugverkehr verankert, verursacht jedoch in der Praxis eine Vielzahl an Streitfällen, da sich vor allem Fluggesellschaften allzu gerne auf höhere Gewalt berufen. Anstatt jedoch die Passagierrechte zu vereinheitlichen, indem sich kein Verkehrsunternehmen, unabhängig vom Verkehrsträger, auf höhere Gewalt berufen kann, werden nun auch die Rechte für BahnkundInnen nach unten nivelliert. Extreme Wetterereignisse, Naturkatastrophen oder das Verhalten von Dritten, vor dem sich das Eisenbahnunternehmen nicht schützen konnte, zB Kabeldiebstahl, Menschen auf den Schienen oder Notfalleinsätze, sollen als höhere Gewalt gelten. Da ist es auch nur ein schwacher Trost, das Streiks ausdrücklich nicht als höhere Gewalt gelten sollen.
Bedauerlich ist diese politische Einigung vor allem auch deshalb, weil damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bedeutungslos wird, das noch im Jahr 2013 bestätigt hat, dass Eisenbahnunternehmen Entschädigungen unabhängig davon zu leisten haben, ob höhere Gewalt vorliegt oder nicht. Und auch das Europäische Parlament hatte sich in seinem Bericht mit einer umfassenden Mehrheit von 533 Ja-Stimmen (gegenüber 37 Nein-Stimmen) gegen die Einführung der höheren Gewalt als Ausnahmeklausel ausgesprochen. Im Rahmen der Trilogverhandlungen konnte es sich aber gegenüber dem Rat nicht durchsetzen.
Keine Änderungen sind hinsichtlich der Entschädigungshöhe bei Verspätungen vorgesehen, falls keine höhere Gewalt gegeben war: Weiterhin erhalten Fahrgäste 25 % des Fahrpreises rückerstattet, wenn die Verspätung ein bis zwei Stunden beträgt, bei mehr als zwei Stunden sind es 50 %. Das Parlament hatte in seiner Position die Rückerstattung des gesamten Fahrpreises bei mehr als zwei Stunden Verspätung gefordert, konnte sich aber wiederum nicht durchsetzen.
Wenig Fortschritte gibt es auch beim Recht von Fahrgästen auf Durchgangsfahrkarten, also Tickets, die mehrere Einzelfahrten umfassen. Anstatt von europäischer Seite vorzusehen, dass Eisenbahnunternehmen Durchgangsfahrkarten verpflichtend anbieten müssen, bleibt dieses Angebot nicht verpflichtend. Damit wird eine wichtige Chance verpasst, dass sich die Eisenbahn im grenzüberschreitenden Fernverkehr besser gegenüber dem Flugverkehr etablieren kann. Denn wenn Tickets für einzelne Fahrstrecken nicht als Durchgangsfahrkarte gelten, sondern als separate Tickets, hat der/die Reisende beispielsweise auch keinen Anspruch auf Unterstützung oder Verpflegung, wenn Anschlusszüge verpasst werden.
Diese politische Einigung im Rahmen der Trilogverhandlungen muss noch vom Europäischen Parlament sowie vom Rat bestätigt werden. Auch wenn es nur in Ausnahmefällen passiert, so wäre es doch erfreulich, wenn dieser Kompromiss in einer der beiden Institutionen keine Bestätigung findet und das nun geschnürte Paket wieder geöffnet werden muss.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Stärkere Fahrgastrechte auf Schiene
AK Positionspapier: Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr