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„Rekordbeschäftigung und Grund zur Hoffnung für jüngere Generation“, so bewirbt die Europäische Kommission den aktuellen Quartalsbericht zur Beschäftigung und sozialen Lage in der EU. Viel zu oft zeichnet die Kommission ein zu rosiges Bild von der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Europa. Denn damit die gestiegenen Wachstums- und Beschäftigungsraten auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen verbessern, braucht es aus Sicht der AK noch zusätzliche Anstrengungen auf europäischer Ebene.

 

In ihrem Quartalsbericht zur Beschäftigung und sozialen Lage gibt die Europäische Kommission einen Überblick über jüngste Entwicklungen im Sozialbereich und auf den Arbeitsmärkten der EU. Untersucht werden Beschäftigungstrends und die Wirtschaftskraft der Mitgliedsstaaten.

 

Der aktuelle Quartalsbericht weist positiverweise in fast allen Mitgliedstaaten einen kontinuierlichen Beschäftigungszuwachs aus. Im zweiten Quartal 2017 stieg die Beschäftigungsquote in der EU gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum um 1,5 %. Im Vergleich zum Vorjahr sind 3,5 Millionen Arbeitsplätze in der EU hinzugekommen. Damit sind nun 235,4 Millionen Menschen in der EU in Erwerbsarbeitsverhältnissen – so viele wie nie zuvor. Gegenüber dem dritten Quartal 2014 belief sich dieser Anstieg in der EU sogar auf 8 Millionen neue Arbeitsplätze (5,6 Millionen davon im Euro-Raum). Laut dem Quartalsbericht hält auch das Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedstaaten an und erreichte im letzten Jahr 2,4 % in der EU. Dadurch sank auch die Arbeitslosenquote um 0,9 % — diese bleibt mit insgesamt 7,6 % und 16,9 % unter jungen Menschen aber weiterhin besorgniserregend hoch.

 

Aus Sicht der AK bedarf es noch weiterer Anstrengungen auf europäischer Ebene, damit alle Menschen von den gestiegenen Beschäftigungs- und Wachstumsraten profitieren. Es muss sichergestellt werden, dass der Beschäftigungszuwachs nicht auf befristeten oder atypischen Arbeitsverhältnissen basiert, sondern jeder Mensch in Europa Zugang zu einem fair bezahlten Arbeitsplatz hat. Marianne Thyssen, EU-Kommissarin für Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität erklärte: „Auf diesem Weg müssen wir fortschreiten und die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für alle verbessern. Mit der europäischen Säule sozialer Rechte haben wir die Weichen für gut funktionierende und faire Arbeitsmärkte gestellt, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind.“

 

Doch ob die europäische Säule sozialer Rechte dieses Versprechen der Kommission wird halten können, bleibt ungewiss. Die soziale Säule sollte eigentlich das soziale Prestigeprojekt der EU-Kommission unter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden. Doch aus Sicht der AK blieb der Entwurf für die Säule weit hinter diesen Erwartungen zurück. Sowohl in der Empfehlung der Kommission als auch in der von ihr vorgeschlagenen Proklamation des Europäischen Rats sollen keine neuen, verbindlichen und durchsetzbaren sozialen Rechte geschaffen werden. Der Entwurf beschränkt sich lediglich auf bereits existierende Rechte und auf Prinzipien, die rechtlich unverbindlich bleiben und darüber hinaus oft sehr allgemein formuliert sind. Aktuell laufen die Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten. Beim Sozialgipfel in Göteborg am 17. November 2017 soll die Säule dann voraussichtlich proklamiert werden.

 

Die AK nutzt die Diskussion, um für einen sozialen Kurswechsel in der EU einzutreten. Verbindliche soziale Mindeststandards könnten sofort in Form von Richtlinien umgesetzt werden und dafür sorgen, dass alle Menschen in Europa vom gestiegenen Wirtschaftswachstum profitieren. Ein soziales Fortschrittsprotokoll könnte sicherstellen, dass soziale Grundrechte Vorrang vor den wirtschaftlichen Freiheiten und Wettbewerbsregelung haben. Und auch der Kampf gegen Sozial- und Lohndumping muss weiterhin in den Mittelpunkt der europäischen Agenda gerückt werden.

 

Gemeinsam mit einer Neuausrichtung hin zu einer ausgewogenen wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik, die restriktive Fiskalregeln hinterfragt und den Mitgliedstaaten mehr Spielraum für zukunftsorientierte Investitionen gibt, könnte so die soziale Dimension der EU gestärkt werden. Die AK wird sich in Brüssel weiterhin dafür einsetzen, dass die europäische Politik im Allgemeinen und die soziale Säule im Besonderen konkrete Verbesserungen für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Europa bringt, anstatt als Lippenbekenntnis viele Erwartungen zu enttäuschen.

 

Weiterführende Informationen:

Quartalsbericht zur Beschäftigung und sozialen Lage

Social Rights First! Vorrang für soziale Rechte!

AK Positionspapier zur Europäischen Säule Sozialer Rechte

AK EUROPA: Die Europäische Säule Sozialer Rechte: Soziales als Mittel zum Zweck?

AK EUROPA: Kommission erkennt Notwendigkeit von Investitionen

Eine „soziale Säule“ mit vielen Fragezeichen: Warum in Widersprüchen eingebettete Symbolpolitik für einen Kurswechsel in der EU nicht ausreicht