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ZurückNach wochenlangem Tauziehen haben die EU-Mitgliedstaaten am 15. März 2024 dem EU-Lieferkettengesetz im Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen zugestimmt. Die vorläufige Einigung zum EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit erhielt bereits am 13. März 2024 die erforderliche Zustimmung. Beide Rechtsakte müssen noch vom Plenum des EU-Parlaments und vom Rat formell angenommen werden.
Zustimmung zum EU-Lieferkettengesetz
Das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD) verpflichtet große Unternehmen, Verantwortung für die Auswirkungen ihrer unternehmerischen Tätigkeiten auf Menschenrechte, Arbeitsrechte und die Umwelt entlang globaler Lieferketten zu übernehmen. Ende 2023 wurde eine vorläufige Einigung zwischen Rat und EU-Parlament erzielt. Die Bestätigung durch die EU-Mitgliedstaaten sollte eigentlich reine Formsache sein, doch es kam anders. Erst im dritten Anlauf hat das EU-Lieferkettengesetz die erforderliche qualifizierte Mehrheit erreicht. Zuvor war die Annahme im Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen der EU-Mitgliedstaaten zunächst verschoben worden und zwischenzeitlich sogar gescheitert. Dies war dem massiven Lobbying von Wirtschafts- und Industrieverbänden geschuldet sowie der Anfang des Jahres angekündigten Enthaltung Deutschlands. Schlussendlich wurde die qualifizierte Mehrheit am 15. März 2024 erreicht; Deutschland, Österreich und einige weitere Mitgliedstaaten haben sich aber enthalten, was auf EU-Ebene einer Gegenstimme gleichkommt. AK und ÖGB kritisieren, dass sich Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher während des gesamten Verhandlungsprozesses nicht konstruktiv gezeigt hat.
Anwendungsbereich stark eingeschränkt
Der angenommene Kompromiss enthält einige Änderungen im Vergleich zur Einigung vom Dezember 2023. So erfasst die aktuelle, abgeschwächte Richtlinie nur noch Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeiter:innen und einem Nettojahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro. Weiters ist eine zeitliche Staffelung vorgesehen: Abhängig von der Unternehmensgröße kommen die neuen Bestimmungen erst drei, vier bzw. fünf Jahre nach dem Inkrafttreten zur Anwendung. Die im Dezember 2023 vereinbarte Fassung hätte Unternehmen bereits ab 500 Mitarbeiter:innen und 150 Millionen Nettojahresumsatz Euro einbezogen. Von der nunmehr beschlossenen Richtlinie sind damit europaweit fast 70 % weniger Unternehmen direkt betroffen als in der Version vom Dezember 2023, nämlich nur noch rund 5.400 statt etwa 16.400 Unternehmen.
Gegen Wirtschaftslobby durchgesetzt
Die Annahme des EU-Lieferkettengesetzes ist aus AK-Sicht dennoch als Erfolg zu werten. Nach einem langen Legislativprozess, der stark vom Lobbying durch Industrie- und Wirtschaftsverbände geprägt war, ist es nun positiv zu bewerten, dass die Richtlinie von den EU-Mitgliedstaaten angenommen wurde. Auch der zuständige Rechtsausschuss des EU-Parlaments (JURI) hat das EU-Lieferkettengesetz am 19. März 2024 mit 20 Stimmen dafür, vier Gegenstimmen und keinen Enthaltungen bereits angenommen. Gewerkschaften, NGOs und Unterstützer:innen der europaweiten Kampagne „Gerechtigkeit geht alle an“ (Justice is Everybody’s Business), zu denen auch die AK und der ÖGB zählen, begrüßen dies. Wolfgang Katzian, der Präsident des ÖGB und EGB, nennt die Annahme einen Meilenstein: „Damit kann der lange verhandelte Paradigmenwechsel von freiwilligen Selbstverpflichtungen hin zu verpflichtenden Regelungen, um Menschen-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechte zu achten und die Umwelt zu schützen, endlich eingeleitet werden.“
EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit
Auch beim EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit haben der Rat und das EU-Parlament Anfang März 2024 eine Einigung erzielt. Im Unterschied zum EU-Lieferkettengesetz, das auf das Verhalten von Unternehmen abzielt, geht es beim Produktverbot darum, die entsprechenden Produkte aus dem Verkehr zu ziehen. Mit der Verordnung werden sowohl die Einfuhr und das Bereitstellen bzw. Inverkehrbringen der Produkte auf dem EU-Markt als auch deren Ausfuhr verboten. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter:innen der EU-Mitgliedstaaten hat die vorläufige Einigung am 13. März 2024 bestätigt. Auch die beiden zuständigen Ausschüsse des EU-Parlaments IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz) und INTA (Internationaler Handel) haben die Einigung am 20. März 2024 mit großer Mehrheit angenommen.
Künftig werden nationale Behörden Untersuchungen von Fällen von Zwangsarbeit innerhalb der EU leiten, Fälle außerhalb der EU übernimmt die EU-Kommission. Weiters wird eine Datenbank mit aktuellen Informationen zu Zwangsarbeitsrisiken bereitgestellt. AK und ÖGB begrüßen das EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit, sehen aber auch Schwachstellen. So beinhaltet die Verordnung keine Entschädigung für Zwangsarbeiter:innen und bürdet die Beweislast den Behörden bzw. der EU-Kommission anstatt den Unternehmen auf. Dennoch ist das EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit eine wichtige Ergänzung zum EU-Lieferkettengesetz.
Aktuell sind rund 27,6 Millionen Menschen weltweit von Zwangsarbeit betroffen, der Großteil davon in der Privatwirtschaft. Rund 236 Milliarden US-Dollar an illegalen Profiten werden jährlich durch Zwangsarbeit erwirtschaftet, wie ein aktueller Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zeigt. Im Rahmen der Präsentation des Berichts wurde die Notwendigkeit betont, die Ursachen von Zwangsarbeit zu bekämpfen und die umfassende Umsetzung der Verordnung sicherzustellen.
Wie geht es weiter?
Die Lieferkettenrichtlinie und die Zwangsarbeitsverordnung müssen vom Plenum des EU-Parlaments und vom Rat noch formell bestätigt werden, bevor sie in Kraft treten. Anschließend haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Lieferkettenrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die Zwangsarbeitsverordnung wird drei Jahre nach Inkrafttreten zur Anwendung kommen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Trilog-Einigung zum EU-Lieferkettengesetz: Meilenstein für Menschenrechte und Umwelt
AK EUROPA: Verantwortung für Unternehmen bei Verletzungen gegen Menschen- und Arbeitsrechte entlang der Lieferketten
EU-Parlament: First Green light to new bill on firms´ impact on human rights and environment (nur Englisch)
Rat: Rat und EU-Parlament erzielen Einigung über Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten
AK EUROPA: Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt
AK EUROPA: 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Wie kann Produkten aus Zwangsarbeit ein Ende bereitet werden?