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„Gute Wachstumsraten, gesunkene Arbeitslosigkeit und Rekordbeschäftigung“– derzeit wird in Brüssel oft über die vermeintlich positive wirtschaftliche Entwicklung der EU gesprochen. Bei der Präsentation eines umfangreichen Forschungsprojektes letzte Woche wurde hingegen wieder in den Mittelpunkt gerückt, was sonst leider zunehmend in Vergessenheit geriet: die nach wie vor dramatisch hohe Jungendarbeitslosigkeit in Europa.

 

Im Jahr 2013 erreichte die Jugendarbeitslosigkeit ihren traurigen Höhepunkt: Mit 24 % war fast ein Viertel aller jungen Menschen in der EU ohne Job. Dementsprechend hoch war auch das Problembewusstsein in Brüssel. Mit der sogenannten „Jugendgarantie“ hat die Kommission sich und den Mitgliedsstaaten ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Allen jungen Menschen unter 25 Jahren soll nach österreichischem Vorbild innerhalb von vier Monaten ein hochwertiger Ausbildungs- oder Arbeitsplatz angeboten werden. Dafür stellt die EU finanzielle Mittel zur Verfügung, um jene besonders betroffenen Regionen zu unterstützen, in denen die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 % liegt.

 

Mitte September wurde bei einer Veranstaltung in Brüssel ein eBook zum Thema Jugendbeschäftigung und dem Weg aus der Arbeitslosigkeit vorgestellt. In diesem werden die umfangreichen Forschungsergebnisse europaweiter Untersuchungen in sehr kurzen und gut verständlichen Beiträgen zusammengefasst. Neben ExpertInnen kommen in dem online-verfügbaren Sammelband auch junge Menschen selbst zu Wort. Sie berichten von prekärer Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und den immer schwieriger werdenden Einstieg ins Berufsleben. Die Projektkoordinatorin Jacqueline O'Reilly, Professorin an der Universität Sussex, betonte bei der Präsentation, dass Jugendarbeitslosigkeit in der Regel nicht selbstverschuldet ist. In diesem Zusammenhang verwies sie auf die große Bedeutung des familiären Hintergrunds für die Erwerbsbiografien von jungen Menschen. Jugendliche, die aus sogenannten „workless households“ kommen, in denen also niemand Arbeit hat, haben ein ca. 30 % höheres Risiko selbst arbeitslos zu werden — und das gilt durchgehend in allen Mitgliedsstaaten der Union.

 

Solche Probleme sind auf europäischer Ebene in letzter Zeit leider zunehmend in den Hintergrund gerückt; andere Themen dominierten die neoliberale EU-Agenda. Außerdem wird von Seiten der Kommission immer öfter ein viel zu rosiges Bild von der wirtschaftlichen Entwicklung der EU gezeichnet. Doch Wirtschaftswachstum und Rekordbeschäftigung sind wenig wert, wenn sie nicht die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Europa verbessern – und insbesondere noch immer viel zu viele junge Menschen ohne Perspektive außen vorgelassen werden. Denn auch die Jugendarbeitslosigkeit ist aufgrund der besseren Konjunktur zwar leicht zurückgegangen, sie bleibt mit 16,9 % (Quelle Eurostat) aber nach wie vor auf besorgniserregendem Niveau und insgesamt doppelt so hoch als in der Gesamtbevölkerung. In Italien liegt die Arbeitslosigkeit von jungen Menschen bei über 35 %, in Spanien bei über 38 % und in Griechenland sogar bei über 45 %. Die strikten Fiskalregeln der EU und die Sparpolitik der „Troika“ treffen dort gerade junge Menschen besonders hart.

 

Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und allen jungen Menschen in Europa eine Zukunftsperspektive zu geben, muss oberste Priorität in der EU bleiben! Dazu müssen Initiativen, wie beispielsweise die Jugendgarantie weiter ausgebaut und verbessert werden. Denn ein Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes hat gezeigt, dass die bereitgestellte EU-Finanzierung bei Weitem nicht ausreicht, um alle jungen Menschen in Europa zu erreichen. Daher wurden vor allem besser qualifizierte und gebildete Jugendliche angesprochen, weil diese in der Regel leichter zu erreichen waren. Jene junge Menschen, die schon vollkommen vom Arbeitsmarkt und Bildungssystem abgekoppelt sind, wurden hingegen nur in viel geringerem Umfang eingebunden. Aus Sicht der AK sollte deshalb eine spezifischere Ausrichtung auf SchulabbrecherInnen, wirtschaftlich und sozial benachteiligte Personen und Langzeitarbeitslose erfolgen. Thiébaut Weber vom Europäischen Gewerkschaftsbund und Anna Widegren, die Generalsekretärin des Europäischen Jugendforums, machten bei der Buchpräsentation klar, dass die EU in einem ersten Schritt Arbeitsplätze für junge Menschen schaffen muss, in einem zweiten Schritt aber auch sicherzustellen hat, dass diese von hoher Qualität sind. Denn viel zu oft bleiben Jugendliche in Europa in prekären Beschäftigungsverhältnissen gefangen. Auch diese Problemlage junger Menschen beschreibt das ebook aus vielen verschiedenen Blickwinkeln.

 

Im Kampf gegen Europas hohe Jugendarbeitslosigkeit ist ein sozialer Kurswechsel unabdingbar. Dafür braucht es eine Neuausrichtung der EU hin zu einer ausgewogenen wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik, die restriktive Fiskalregeln hinterfragt und den Mitgliedstaaten mehr Spielraum für zukunftsorientierte Investitionen gibt. Nur so können die Arbeitsplätze der Zukunft für junge Menschen geschaffen werden. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit muss weiterhin eine Top-Priorität auf europäischer Ebene bleiben, so der Tenor bei der Präsentation des ebooks.

 

 

Weiterführende Informationen:

Youth employment STYLE Handbook

AK EUROPA: Wie und warum die Jugendgarantie in der EU bisher noch nicht ausreichend funktioniert

AK EUROPA: EU-Jugendarbeitslosigkeit: Noch droht eine Generation der verlorenen Chancen

AK EUROPA: Jugendarbeitslosigkeit bleibt TOP-Thema im EU-Parlament

AK EUROPA: Eine EU-Jugendgarantie bringt mehr als sie kostet

AK EUROPA: EU-Jugendgarantie: Dringend benötigtes Geld fließt nur schleppend

Europäischer Rechnungshof: Jugendarbeitslosigkeit – Haben die Maßnahmen der EU Wirkung gezeigt?