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ZurückNach den Alleingängen der Mitgliedsstaaten zu Beginn der Coronakrise versucht die Europäische Kommission das Zurückfahren der Corona-Maßnahmen geordneter zu gestalten: Am 15. April 2020 wurde ein „Fahrplan“ mit Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten vorgestellt, wie die herrschenden Restriktionen graduell gelockert werden könnten – koordiniert und solidarisch.
Die „Roadmap“ enthält keineswegs verbindliche Ziele für die Mitgliedsstaaten, sondern liefert Impulse für ein koordiniertes Vorgehen zur Aufhebung der eingeführten Maßnahmen im Kampf gegen Corona. Eine Erstfassung des Dokuments zirkulierte bereits vor einer Woche, verschwand allerdings nach zurückweisenden Reaktionen einiger Mitgliedsstaaten zunächst wieder in der Schublade. Unterdessen haben bereits unter anderem Österreich, Spanien und Dänemark Lockerungen der Restriktionen eingeführt, etwa die Wiederöffnung von Teilen des Einzelhandels und anderen Betrieben sowie der Kindergärten und Schulen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hielt fest, dass es keine „one-fits-all“-Lösung geben könne. Sie plädierte vielmehr für eine koordinierte, gemeinsame und solidarische Vorgehensweise. Grundlegend für den weiteren Verlauf der Krise sei die Expertise der Wissenschaft und der Schutz der öffentlichen Gesundheit, die etwa über ökonomische Überlegungen gestellt werden müsste.
Das Timing ist entscheidend
Die Kommission identifiziert drei Kriterien, die erfüllt sein müssen, um überhaupt Lockerungen auf den Weg zu bringen. Erstens muss die Zahl der Neuinfektionen sinken oder auf einem konstanten Niveau bleiben. Zweitens seien ausreichende Kapazitäten der Gesundheitssysteme eine notwendige Bedingung, da eine Wiederaufnahme ökonomischer Aktivität oder eine Lockerung der Kontaktsperren unweigerlich zu mehr Neuinfektionen führten. Drittens müsse es „umfassende Überwachungskapazitäten“ geben, also allen voran breit angelegte Tests der Bevölkerung oder etwa Tracking-Apps, die auf freiwilliger Basis Informationen über das Infektionsgeschehen liefern.
Flankierende Maßnahmen
Kernelemente für Lockerungen und die Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Lebens sind ein genauer Kenntnisstand der Infektionszahlen und aussagekräftige Daten über die Verbreitung des Virus. Viel diskutierte Tracking-Apps könnten dabei helfen, wobei KritikerInnen auf einen strikten Schutz der Privatsphäre konform zur Datenschutzgrundverordnung pochen. Als unterstützende Maßnahme für Mitgliedsstaaten veröffentlichte die Kommission ebenfalls am 15. April eine „Toolbox“, die beispielsweise essentielle Anforderungen an Apps auflistet und als Leitfaden für eine datenschutzkonforme Ausrichtung dienen soll. Schutzausrüstung soll weiterhin über das ins Leben gerufene rescEU und über auf EU-Ebene organisierte Beschaffungsinitiativen gewährleistet werden. Die Kapazitäten der Gesundheitsversorgung, etwa die Anzahl an Intensiv-Betten, müssen ebenfalls ständig überwacht und gewährleistet werden, da mit Neuinfektionen zu rechnen ist. Die Forschung nach einem Impfstoff oder wirksamen Medikamenten bleibt ebenfalls zentral. So soll am 4. Mai 2020 eine Geberkonferenz zur finanziellen Unterstützung der Forschung stattfinden.
Schrittweise vorgehen und „miteinander sprechen“
Wie von der Leyen in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Ratspräsident Charles Michel betonte, seien Mitgliedsstaaten angehalten, Maßnahmen zur Aufhebung der Restriktionen untereinander und mit der Kommission zu kommunizieren. Die Öffnungen müssten behutsam und schrittweise erfolgen. Ein funktionierender Binnenmarkt und die Mobilität von ArbeitnehmerInnen sollen weiter sichergestellt sein. Risikogruppen müssten weiterhin besonders geschützt werden. Verhängte Ausnahmezustände, die mit Blick auf Ungarn Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Rechte von Minderheiten untergraben, sollen durch spezifische Maßnahmen ersetzt werden. Öffnungen sollen von innen nach außen funktionieren, beginnend mit Grenzöffnungen zwischen weniger stark betroffenen Regionen. Mit Hinblick auf das gesellschaftliche Leben sollen Kindergärten und Schulen an erster Stelle als Erstes geöffnet werden, während Großveranstaltungen als Letztes wieder stattfinden sollen. Auch die Wirtschaft soll schrittweise und behutsam wieder hochgefahren werden. Der Europäische Gewerkschaftsbund reagierte mit der Forderung einer sorgfältigen Planung des Arbeits-und Gesundheitsschutzes, die mit den SozialpartnerInnen ausgearbeitet werden müsse. Für ArbeitnehmerInnen in allen Branchen müssten zeitnah maßgeschneiderte Konzepte vorgelegt werden.
Ein Marschall-Plan für Europa?
Ein „kraftvoller neuer Europäischer Haushalt“ ist laut von der Leyen ein wichtiger und erprobter Hebel für die wirtschaftliche Erholung in Europa. In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am 16.04 erklärte die Kommissionspräsidentin, der Haushalt müsse sich „deutlich von dem unterscheiden, was wir uns bisher darunter vorstellen“. Gelder aus dem Mehrjährigen Finanzrahmen sollen benutzt werden, um auf dem internationalen Finanzmarkt Investitionen in Billionenhöhe zu ermöglichen. Eine genaue Ausgestaltung des wirtschaftlichen Erholungsplans, der weiterhin den Europäischen Grünen Deal und die Digitale Agenda verfolgt, soll zeitnah am 29. April 2020 vorgestellt werden.
Weiterführende Informationen:
Europäische Kommission: EU-Konzept für wirksame Kontaktnachverfolgungs-Apps