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ZurückAm 18. Februar 2021 präsentierte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis die mit Spannung erwartete Mitteilung zur Neuausrichtung der EU-Handelspolitik. Diese Mitteilung markiert den Abschluss eines monatelangen Prozesses und soll laut Kommission einen Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen und dennoch durchsetzungsfähigen Handelspolitik einläuten.
Angesichts der gravierenden Schwachstellen, die die Coronakrise in den vergangenen Monaten offenlegte, hatte der damalige Handelskommissar Phil Hogan im Juni 2020 eine Überprüfung und Neuausrichtung der EU-Handelspolitik eingeleitet. Damit sollte nicht nur auf die weitreichenden Auswirkungen der Pandemie, sondern auch auf geopolitische Entwicklungen reagiert und ein handelspolitisches Konzept für die Zeit nach der Krise entwickelt werden. Nun wurde das Ergebnis des Überarbeitungsprozesses präsentiert.
Erholung und Wandel
Als zentrales Ziel der EU-Handelspolitik definiert die Kommission eine grundlegende Transformation der Wirtschaft im Einklang mit einem ökologischen und digitalen Wandel, die der derzeitigen Coronakrise folgen soll. Die Mitteilung sieht vor, globale Regeln für eine nachhaltigere und fairere Globalisierung zu gestalten und die (vermeintlich) europäischen Interessen stärker zu verfolgen und durchzusetzen. Der ökologische Wandel soll ebenso gefördert werden wie verantwortungsvolle und nachhaltige Wertschöpfungsketten, der digitale Handel und der Handel mit Dienstleistungen. Darüber hinaus plant die Kommission die Partnerschaften mit Nachbarstaaten, Erweiterungsländern und dem afrikanischen Kontinent zu vertiefen und die regulatorische Wirkung der EU zu stärken, beispielsweise bei der Festlegung internationaler Standards. Faire Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen sollen sichergestellt und bestehende Handelsabkommen besser um- und durchgesetzt werden, indem etwa konsequenter auf die Einhaltung der Nachhaltigkeitskapitel geachtet wird.
Die Kommission setzt dabei ganz zentral auf eine „offene strategische Autonomie“. Mit Hilfe dieser soll die EU laut Kommission eine globale Führungsrolle übernehmen und die Welt im Sinne der eigenen Interessen und Werte gestalten. Außerdem wurde angekündigt, diese Werte und Interessen effektiver zu verteidigen, sowohl nach innen als auch nach außen.
Priorität für WTO-Reform
Ein wichtiger Baustein des neuen handelspolitischen Kurses ist dabei der Einsatz für einen Multilateralismus und eine regelbasierte internationale Ordnung, die den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte Rechnung trage. Priorität wird daher vor allem einer umfassenden Reform der Welthandelsorganisation (WTO) eingeräumt. Diese soll globale Verpflichtungen bezüglich Handel und Klimaschutz, neue Regeln für den digitalen Handel und strengere Maßnahmen zur Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen durchsetzen. Außerdem soll es in Zukunft wieder ein verbindliches System zur Streitbeilegung geben. Mit der am 15. Februar 2021 gewählten Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala steht nun nicht nur erstmals eine Frau an der Spitze der Organisation, sondern zum ersten Mal auch einE GeneraldirektorIn aus einem afrikanischen Mitgliedsstaat. Zuvor war die Wahl von Okonjo-Iweala ebenso wie die Nachbesetzung des WTO-Schiedsgerichts durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump blockiert worden. Viele Mitgliedsstaaten hoffen nun darauf, dass die seit Jahren geschwächte Organisation mit dem Amtsantritt von Joe Biden endlich umfassend reformiert werden kann.
Arbeiterkammer fordert Ende der einseitigen Liberalisierungspolitik
Im Rahmen der Konsultation hatte die AK gefordert, dass im Zuge der Überprüfung der EU-Handelspolitik nicht nur die Lehren aus der Coronakrise gezogen werden, sondern ein grundlegender handelspolitischer Kurswechsel eingeläutet wird – weg von einer einseitigen Politik der Liberalisierung und hin zu einer wohlstandsorientierten Politik, die gute Arbeitsbedingungen sowie den Schutz von Umwelt und Klima in den Mittelpunkt stellt. Ein solch substanzieller Kurswechsel in der EU-Handelspolitik bleibt im Rahmen der vorgelegten Mitteilung allerdings aus. Stattdessen scheint die Kommission die internationale Wettbewerbsfähigkeit nach wie vor zu priorisieren und begnügt sich hinsichtlich ökologischen und sozialen Fragen mit Absichtserklärungen. Bedauerlicherweise versucht sie, Widersprüche und Konflikte zu umgehen, indem sie es vermeidet, den Fokus auf soziale und klimapolitische Interessen zu legen. Eine wirklich nachhaltige Handelspolitik müsste aber genau diese Widersprüche ins Visier nehmen, sie benennen und anschließend zielgerichtet darauf reagieren. Denn die Handelspolitik der EU sollte das Wohlergehen von Bevölkerung und Planeten in den Mittelpunkt stellen, nicht die privaten Profitinteressen einzelner Konzerne.
Weiterführende Informationen:
Arbeiterkammer: EU-Konsultationspapier – Eine überarbeitete Handelspolitik für ein stärkeres Europa
AK EUROPA Policy Brief: Beyond the coronavirus pandemic – Achieving a fair global economy for the 21st century (Nur Englisch)
AK EUROPA: Neuausrichtung der EU-Handelspolitik
AK EUROPA: Handelspolitik – Neues Personal, alte Konflikte?
A &W Blog: Faire und nachhaltige EU-Handelsstrategie: Ist auch drin, was draufsteht?