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ZurückAm 29. April 2021 bestätigte das Europäische Parlament den Kompromiss über die Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr, den es mit dem Rat und der Kommission zu Jahresende 2020 ausgehandelt hatte. Damit sind die Verhandlungen um diese Verordnung abgeschlossen, die wenig Verbesserungen aus Sicht der Reisenden bringt, dafür aber eine maßgebliche Verschlechterung.
Bei dieser maßgeblichen Verschlechterung ist der Umstand gemeint, dass bislang Eisenbahnunternehmen in allen Fällen Entschädigungen an die Reisenden zu zahlen hatten, wenn Verspätungen von mehr als einer Stunde auftreten. Nun wird die Ausnahme eingeführt, dass im Falle von höherer Gewalt diese Entschädigung nicht mehr zu leisten ist. Als höhere Gewalt sind dabei nicht nur extreme Wetterereignisse, Naturkatastrophen oder Gesundheitskrisen definiert, sondern auch Verspätungen, die auf Dritte zurückzuführen sind, die das Eisenbahnunternehmen nicht vermeiden konnte. Hierzu zählen beispielsweise Personen auf Gleisen, Kabeldiebstahl oder Notfälle an Bord.
Bedauerlich ist diese neue Regelung aus Sicht der Reisenden, weil damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bedeutungslos wird, das noch im Jahr 2013 bestätigt hat, dass Eisenbahnunternehmen Entschädigungen unabhängig davon zu leisten haben, ob höhere Gewalt vorliegt oder nicht. Da ist es aus Sicht der Fahrgäste auch nur ein schwacher Trost, dass Streiks bei Eisenbahnunternehmen, Versäumnisse anderer Eisenbahnunternehmen oder der Infrastrukturbetreiberin ausdrücklich nicht als höhere Gewalt anzusehen sind.
Diese Klausel zur höheren Gewalt ist bereits bei den Passagierrechten im Bus- und Schifffahrtsbereich sowie im Flugverkehr verankert, verursacht jedoch in der Praxis eine Vielzahl an Streitfällen, da sich vor allem Fluggesellschaften allzu gerne auf höhere Gewalt berufen. Damit wurde die Chance verpasst, ein einheitlich hohes Schutzniveau für alle Reisenden unabhängig vom Verkehrsmittel einzuleiten. Stattdessen bedeutet es eine Nivellierung des Schutzniveaus nach unten.
Andere Bestimmungen bleiben in der Neufassung der Verordnung unverändert. Dies betrifft beispielsweise die Höhe der Entschädigungen, die weiterhin 25 % bei einer Verspätung zwischen ein und zwei Stunden sowie 50 % bei mehr als zwei Stunden sind. In seiner ursprünglichen Position hatte das Europäische Parlament die Erhöhung der Entschädigung auf bis zu 100 % bei Verspätungen über zwei Stunden gefordert. In den Trilogverhandlungen mit dem Rat konnte es sich aber damit genauso wenig durchsetzen wie mit dem Ausbau des Angebots von Durchgangsfahrkarten, also Tickets, die mehrere Einzelfahrten umfassen. Anstatt von europäischer Seite vorzusehen, dass Eisenbahnunternehmen grundsätzlich Durchgangsfahrkarten verpflichtend anbieten müssen, bleibt es weiterhin auf freiwilliger Basis, wenn sie Durchgangsfahrkarten für Reiseketten verkaufen, die auch Zugfahrten umfassen, die von anderen Unternehmen durchgeführt werden.
Bei der Sitzung im Europäischen Parlament am 29. April 2021 kamen insgesamt zehn Abänderungsanträge zur Abstimmung, die von Abgeordneten aus fünf Fraktionen unterstützt wurden. Bedauernswerterweise erhielt jedoch keiner der Abänderungsanträge eine Mehrheit, da es in diesem Fall zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Rat gekommen wäre. Da für die Neufassung der Verordnung eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen ist, bleibt Bahnreisenden lediglich der schwache Trost, zumindest noch bis 2023 Entschädigungen erhalten zu können, bevor die Ausnahme der höheren Gewalt zur Anwendung kommt.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr: Ernüchternder Kompromiss
AK EUROPA: Stärkere Fahrgastrechte auf Schiene
AK Positionspapier: Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr