Nachrichten

Zurück
Die Eisenbahn braucht mehr Wettbewerb, es ist daher eine noch weitergehende Liberalisierung des Schienenverkehrs notwendig als bisher schon geschehen, informierte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas diese Woche bei einer von der Europäischen Kommission organisierten Konferenz zum Eisenbahnsektor. Bereits für Dezember ist die Veröffentlichung des so genannten 4. Eisenbahnpakets geplant, in dem die Details zu den neuerlichen Liberalisierungsschritten für die Schiene dargestellt sein werden. Wie bei EU-Verkehrsthemen leider schon gewohnt, wurde über die Beschäftigten der Eisenbahn kein einziges Wort verloren.

EU-Kommissar Kallas: Wettbewerb über alles

EU-Kommissar Kallas skizzierte in der Eröffnungsrede zur Konferenz, welche Änderungen er im nunmehr vierten Eisenbahnpaket anstrebt: So soll die Europäische Eisenbahnagentur ein „One Stop Shop“ werden, das heißt, die Agentur soll alle nötigen Entscheidungen treffen, die zur Zulassung von rollendem Material notwendig sind. Im Passagierverkehr soll es zu einer weiteren Öffnung kommen, da es laut dem Kommissar in diesem Bereich bisher zu wenig Wettbewerb gebe. Auch für den öffentlichen Personennahverkehr deutete er Regelungen an, die mehr Wettbewerb bringen sollen. Geht es nach dem EU-Kommissar, sollen weitere Schritte unternommen werden, um für die völlige Unabhängigkeit des Infrastrukturmanagement vom Eisenbahnbetrieb zu sorgen.

Verpflichtende Ausschreibung der Personenverkehrsdienstleistungen

Im Verlauf der Konferenz wurde ein Kommissionsbeamter deutlicher, was die Personenverkehrsdienstleistungen betrifft. Die Kommission spricht sich demnach für eine verpflichtende Ausschreibung aller Personenverkehrsdienste aus, den Vergabebehörden soll kein Spielraum mehr eingeräumt werden. Nur einige wenige Ausnahmen von dieser Generalregel soll es geben. Letztlich könnte dies bedeuten, dass auch jede Straßenbahn- und U-Bahnlinie künftig ausgeschrieben werden müsste.

Trotz dreier Eisenbahnpakete sinkende Marktanteile – wer ist schuld?

Wer dafür verantwortlich ist, dass die Liberalisierung im Eisenbahnbereich bisher nicht den gewünschten Erfolg brachte, liegt für einige RednerInnen auf der Hand: Die Gewerkschaften seien schuld. EU-Abgeordneter Dominique Riquet von der Europäischen Volkspartei betonte, dass nun schon seit 20 Jahren versucht werde, den Eisenbahnsektor zu öffnen, dass dies aber aufgrund der vielen Widerstände wenig erfolgreich war. Der liberale EU-Abgeordnete Philippe de Backer kritisierte ebenfalls die vielen Hindernisse, die am Eisenbahnmarkt nach wie vor bestünden. Ein Bremsklotz bei der Öffnung der Eisenbahn sei für ihn die Gewerkschaft, die alte Strukturen beibehalten wolle. Das sehe er beispielsweise in seinem eigenen Land, Belgien. Keine Möglichkeit sich gegen diese Angriffe zu wehren hatten die GewerkschaftsvertreterInnen. Zwar waren mehr als zwei Dutzend RednerInnen zur ganztägigen Konferenz eingeladen, ArbeitnehmervertreterInnen waren leider nicht darunter. Bei der Einladungspolitik der Kommission fiel auf, dass fast ausschließlich BefürworterInnen der Kommissionspolitik als RednerInnen eingeladen waren.

Kritik vom Verband der Europäischen Eisenbahn- und Infrastrukturunternehmen CER

Eine absolute Ausnahme war der Vorsitzende der Europäischen Eisenbahn- und Infrastrukturunternehmen CER, Mauro Moretti mit zumindest indirekter Kritik an der Europäischen Kommission: Moretti führte an, dass in den letzten 20 Jahren bereits 3 Liberalisierungspakete verabschiedet worden seien und es nicht förderlich sei, alle zwei, drei Jahre den Rahmen zu ändern. Bei dieser Vorgangsweise sei es unmöglich sich entsprechend anzupassen. Bei den Passagiermärkten spricht sich der CER-Vorsitzende für die Möglichkeit der Direktvergabe aus und es soll einen einheitlichen Rechtsrahmen auf Basis der Subsidiarität geben. Harte Kritik äußerte Moretti außerdem daran, dass die Schiene im Vergleich zur Straße mit hohen Kosten belastet werde, was für die Eisenbahn schwere Wettbewerbsnachteile bedeute. Die Trennung wie beim Infrastrukturmanager vorgesehen, lehnt er ab, weil sie nicht mehr Wettbewerb bringe.

Werben für PrivatanbieterInnen

Im Verlauf der Konferenz bekamen mehrere RednerInnen von PrivatanbieterInnen von Schienenverkehrsdienstleistungen die Gelegenheit ihre Unternehmen zu loben und zu preisen: So beispielsweise die First Great Western aus Großbritannien, die auf einzelnen Strecken in den letzten 8 Jahren ein Passagierplus von bis zu 50 Prozent aufweisen konnten, oder die italienische Nuovo Trasporto Viaggiatori, die ihre neuen Hochgeschwindigkeitszüge bewarb oder der auf IT-Lösungen im Verkehr spezialisierte Anbieter Amadeus.

Zu Wort kam auch ein Vertreter der rumänischen Bahn, der zwar von einem schrumpfenden Netz von 11.000 auf 8.000 km berichtete, beziehungsweise von 15 % weniger Kunden in den letzten 10 Jahren, sowie von einem Fuhrpark, der zu 50 % zwischen 21 und 40 Jahre alt sei, 10 % des Fuhrparks seien überhaupt bis zu 60 Jahre alt. Der Redner unterstützte aber die Kommissionsvorhaben, weil sie mehr Wettbewerb bringen, außerdem laufen viele transeuropäische Netze über Rumänien.

Enttäuschung über Vorgehensweise der Kommission

Einmal mehr enttäuscht die Kommission mit ihrer Vorgehensweise beim Schienenverkehr. Statt zu hinterfragen, warum trotz dreier Schienenverkehrspakete mit vielen Richtlinien und Verordnungen die Marktanteile der Schiene zurückgehen, verfolgt die Kommission ihren Weg stur weiter. Die Straße wird von ihr immer billiger gemacht, während die Schiene mit immer neuen Kosten konfrontiert wird. Ganz weit hinten dürften bei der Kommission auch die Bedürfnisse der Gesellschaft stehen. So macht sich die Kommission über die Nebenstrecken, die keine Gewinne abwerfen keine Gedanken. Für sie zählen vor allem die gewinnträchtigen Haupt- und Hochgeschwindigkeitsstrecken, die für PrivatanbieterInnen höchst interessant sind. Rosinen picken in Reinkultur. Zu allerletzt kommen die Beschäftigten. Wie ein Redner bei der Konferenz meinte, gebe es kein Sozialdumping bei der Bahn, wie man in Deutschland bei den LokführerInnen sehe – bei PrivatanbieterInnen bekämen diese zwischen 85 und 95 % des Lohns, den die staatliche Bahn zahle. Dass Europa aber nicht Deutschland ist und darüber hinaus ein großer Teil der Beschäftigten keine LokführerInnen sind, wird geflissentlich übersehen.

Ende dieses Jahres will die Kommission ihre Vorschläge zum nunmehr vierten Eisenbahnpaket veröffentlichen. Ob das Paket Vorteile für die Gesellschaft und die im Eisenbahnsektor Beschäftigten bringt, muss nach dieser Konferenz leider bezweifelt werden.