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Der sogenannte „Rompuy Bericht“ Ende Juni gab den Anstoß zu Zukunftsdiskussionen in Europa. Nun gibt auch das Europäische Parlament seinen Senf dazu. Diese Woche wurde in gleich drei Ausschüssen des Europäischen Parlaments über einen Fahrplan für Europa diskutiert. Der Europäische Wirtschafts- und Währungsausschuss hat dazu den „Thyssen Bericht“ verfasst. Das Europäische Parlament fordert vor allem mehr Mitbestimmungsrechte und demokratische Kontrolle.
Im Beschäftigungs- und Sozialausschuss, im Wirtschafts- und Währungsausschuss und im Ausschuss für konstitutionelle Fragen wurden diese Woche Empfehlungen der ParlamentarierInnen an die Kommission und an die Mitgliedsstaaten erarbeitet. Im Beschäftigungs- und Sozialausschuss sowie im Ausschuss für Konstitutionelle Fragen wurde der Vorschlag zur Abstimmung gebracht, die endgültigen Fassungen nach Berücksichtigung von mehreren hundert Abänderungsanträgen sind allerdings erst in Kürze erhältlich. Das Europäische Parlament hofft, dass seine Initiativberichte in die angekündigte Diskussion über das „Rompuy Papier“ miteinfließen werden.

Die erste Fassung des „Rompuy Papiers“, ausgearbeitet von Ratspräsident Herman Van Rompuy, EZB-Chef Mario Draghi, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, wurde Ende Juni verfasst, nachdem der EU-Gipfel den vier Präsidenten den Auftrag dazu erteilt hatte. Der darin entwickelte Fahrplan für Europa basiert auf vier Grundpfeilern: einem integrierten Finanzrahmen, einem integrierten Haushaltsrahmen, einem integrierten wirtschaftspolitischen Rahmen und der demokratischen Legitimität und Rechenschaftspflicht. Von Seiten des Europäischen Parlaments wird kritisiert, dass bei der Ausarbeitung des Papiers ein Präsident nicht beteiligt war: der Präsident des Europäischen Parlaments.

Diskussionen im Europäischen Parlament: der Thyssen Bericht

Im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungsfragen stand am Dienstag der „Thyssen Bericht“- benannt nach der belgischen konservativen Berichterstatterin - auf der Tagesordnung. Im Berichtsentwurf von Mitte September sprechen sich die Abgeordneten in erster Linie für eine noch weitergehende Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments aus.

Der Thyssen-Bericht begrüßt im Großen und Ganzen die Vorschläge des „Rompuy Berichts“ zu einer Bankenunion. Die vorgesehenen Maßnahmen zur Bankenunion, ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus, eine einheitliche Europäische Sanierungs- und Abwicklungsbehörde sowie eine europäische Einlagensicherung werden von den ParlamentarierInnen unterstützt. Die bestehenden Strukturen reichen nicht aus um eine gegenseitige Ansteckung der kriselnden Banken zu verhindern und die Kosten der Bewältigung der Krise haben „den Steuerzahler zu stark belaste[t]“. Außerdem soll zwischen kurzfristigen Maßnahmen zur „Stabilisierung der akuten Krisensituation im Bankensektor“ und langfristigen Maßnahmen zur Verwirklichung der Bankenunion unterschieden werden. Der Bericht betont weiters, dass die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank gerade für die Glaubwürdigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion wesentlich ist.

Vorstellungen zur Bankenunion

Ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus stellt eine Verbesserung gegenüber dem bestehenden fragmentierten System der nationalen Aufsichten dar und ist den aktuellen Herausforderungen gewachsen. Die zentrale Rolle der Europäischen Zentralbank bei der zukünftigen Ausgestaltung der Bankenaufsicht wird vom Thyssen-Bericht unterstützt. Einige Auffassungen des Berichts weichen jedoch von den Vorstellungen der vier Präsidenten ab. So fordert der Ausschuss Sicherheitsvorkehrungen, um potentielle Interessenskonflikte zwischen den geldpolitischen Aufgaben und den zukünftigen Aufsichtsbefugnissen der EZB zu vermeiden. Außerdem soll die zukünftige Bankenaufsicht sich gegenüber dem Europäischen Parlament rechtfertigen müssen und rechenschaftspflichtig sein. Das Europäische Parlament soll den/die LeiterIn der einheitlichen Aufsichtsbehörde ernennen können und somit mehr Mitbestimmungsrechte erhalten.

Ähnlich argumentiert der Bericht bei dem geplanten einheitlichen Sanierungs- und Abwicklungssystem und beim europaweiten Einlagensicherungssystem. Für beide Instrumente sollen getrennte europäische Fonds eingerichtet werden. Die Gelder sollen sich aus Beiträgen der Finanzinstitute speisen und somit den öffentlichen Haushalt entlasten. Die Euroländer hätten die kollektive Verpflichtung sicherzustellen, dass den Fonds ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

Eine Behörde für ein einheitliches Sanierungs- und Abwicklungssystem ist laut dem Bericht des Ausschusses notwendig, um die Bankenkrise zu bewältigen. Diese neue Behörde soll weitgehend unabhängig, aber dennoch gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig sein. Auch hier fordert der Thyssen-Bericht, dass das Europäische Parlament den/die LeiterIn der Behörde ernennen soll.

Über 800 Abänderungsanträge

Der Wirtschafts- und Währungsausschuss diskutierte diese Woche den Thyssen-Bericht. Die Mitglieder des Ausschuss legten 839 Änderungswünsche vor, mögliche Kompromissfassung wird nächste Woche zur Abstimmung gebracht.

In der dieswöchigen Diskussion wurde von vielen Abgeordneten breite Kritik am „Thyssen Bericht“ formuliert. Viele Abgeordnete forderten vor allem eine zusätzliche fünfe Säule: eine Sozialunion, in der soziale Rechte garantiert werden. Außerdem wurde vorgeschlagen, dem Europäischen Gerichtshof die Kompetenz zur Kontrolle der Aufsichtsmechanismen zu geben. Aber am meisten wurde die fehlende demokratische Kontrolle kritisiert. Auch die berühmt-berüchtigte „Troika“ (Internationaler Währungsfonds, EZB, Europäische Kommission), die in den Krisenländern ihre Zelte aufgebaut hat und vor allem den ArbeitnehmerInnen bittere Pillen verschreibt, sollte endlich demokratisch kontrolliert werden, so einige Abgeordnete. Erst in dieser Woche sorgte ein Bericht des Internationalen Währungsfonds für Aufregung, der die Troika-Politik direkt dafür verantwortlich macht, dass ihre „wirtschaftspolitischen“ Vorschläge auf falschen Berechnungen beruhen und eindeutig zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen.

Auch die nächste Woche wird spannend. Dann soll nämlich der Thyssen-Bericht im Wirtschafts- und Währungsausschuss abgestimmt werden. Erst nach dieser Abstimmung wird sich weisen, welchen Stellenwert soziale Rechte der ArbeitnehmerInnen bei einer möglichen Neugestaltung der EU-Verträge haben werden, wenn das Parlament sich durchsetzen kann. Der Standpunkt der österreichischen Gewerkschaften und der AK ist dabei klar: Die Zeit der Sonntagsreden über das „Soziale Europa“ ist vorbei! Jetzt geht’s darum, konkrete Verbesserungen für die Menschen in Europa durchzusetzen!

Thyssen Bericht