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Ein langer und harter Kampf, mit ständigem Auf und Ab. Jetzt scheint er sich langsam bezahlt zu machen. Erst sträubte sich die Europäische Kommission, einen Vorschlag zur Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTS) vorzulegen. Nach wochenlangem Trommelfeuer von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft unter maßgeblicher Beteiligung von AK, ÖGB, nationalen und europäischen Gewerkschaften und ihren Dachverbänden sowie einer breiten Koalition aus zivilgesellschaftlichen Organisationen mussten sich Barroso und Co. dann jedoch beugen und präsentierten endlich einen Plan für die Einführung der FTS. Dann kam – wie zu befürchten war – die Koalition der VerhindererInnen aus den Mitgliedsstaaten, angeführt wie immer von den Briten und ihren Verbündeten. Doch diese Woche riss jenen Ländern, die für die Einführung der FTS sind – darunter federführend Österreich – der Geduldsfaden. Sie bekannten sich zu dem Wunsch, die FTS zunächst in ihren Ländern einzuführen. Damit sind die BlockiererInnen vorerst in der Sackgasse gelandet.
Erst diese Woche beschäftigte sich die deutsche Tageszeitung „Handelsblatt“ in einem Leitartikel mit dem beängstigenden Phänomen der sogenannten „Roboterbörsen“. Gemeint sind Hochleistungscomputer, die auf Basis von komplexen mathematischen Algorithmen minimale Preisdifferenzen zwischen Investmentprodukten in Millisekunden ausfindig machen und in Profite ummünzen. Untersuchungen gehen davon aus, dass in den USA bereits rund 60% des Handels mit Aktien auf diesen sogenannten „Hochfrequenzhandel“ entfallen, in Europa circa 40%. Computer handeln mit Computern, oder, wie das Handelsblatt treffend formuliert, bei dieser Ausprägung des Casino-Kapitalismus „wird nicht einmal mehr ein Croupier gebraucht“.

Abenteuerliche Auswüchse, deren sozialer Nutzen bei null liegt. Wenn man nun solche Transaktionen, die bisher großzügigerweise von der Steuer ausgenommen sind, während gleichzeitig unter dem Vorwand der Eindämmung der Staatsschulden ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen von Kommission und Troika (IWF, EZB, Kommission) immer größere Einschnitte in ihre wohl erworbenen Rechte und immer höhere Steuer- und Abgabenlasten zugemutet werden, mit dem Instrument der FTS minimalst (der Kommissionsvorschlag geht von einem maximalen Steuersatz von 0,1% aus!) besteuern würde, wären solche Luftgeschäfte deutlich unattraktiver. Und die Mitgliedsstaaten könnten endlich dringend benötigte Steuereinnahmen erzielen, um die schlimmsten sozialen Auswirkungen der durch die Finanzindustrie ausgelösten Krise abzufedern.

Allerdings: Wer einmal hinter die Kulissen des Brüsseler Lobbydschungels geblickt hat, kennt die Macht und den undemokratischen Einfluss der Finanzindustrie. Denn obwohl Banken und Co. sich ohne mit der Wimper zu zucken Milliardensummen aus den Budgets der Mitgliedsstaaten und folglich aus der Tasche der SteuerzahlerInnen zum Nulltarif gönnten, um ihre vom Handel mit Schrottpapieren tiefroten Bilanzen aufzuschönen, denken sie bis heute weder daran, die Finger von riskanten Spekulationsgeschäften zu lassen. Noch sind sie dazu bereit, den im Vergleich zu den Bankenrettungspaketen lächerlich anmutenden Mini-Beitrag der FTS ohne Gegenwehr zu akzeptieren. Ihr gesellschaftlich schwer beschädigtes Ansehen scheint sie dabei nicht zu stören.

Folglich haben sie ihre gut geölte Lobbymaschinerie angeworfen, um maximalen Widerstand gegen die Einführung der FTS zu leisten, ähnlich wie auch bei vielen anderen redlichen Versuchen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, den bisher völlig unkontrollierten Wildwuchs auf den Finanzmärkten in den Griff zu bekommen.

Erst das Europäische Parlament hat entscheidende Bewegung in die Debatte um die FTS gebracht. Trotz anfänglichen Widerstands von Konservativen und Liberalen (und natürlich bis zum heutigen Tag der ECR-European Conservatives and Reformists- eine politische Gruppierung die hauptsächlich durch den Auszug der britischen konservativen Tories aus der Fraktion der EVP entstanden ist, und die sich die kompromisslose Verteidigung der City of London, des größten Finanzplatzes in Europa, auf die Fahnen geheftet hat) ist es im vergangenen Jahr gelungen, eine breite Mehrheit des EP dafür zu gewinnen, sich für die Einführung der FTS auszusprechen. Wesentlichen Anteil daran hatte auch eine von AK, ÖGB, EGB, vielen anderen Gewerkschaften und NGOs getragene Online-Kampagne. Innerhalb von wenigen Wochen wandten sich die europäischen BürgerInnen mit über 500.000 E-Mails an ihre gewählten VertreterInnen im Europäischen Parlament und forderten die sofortige Einführung der FTS in Europa.

Das deutliche Votum des EP veranlasste auch die Kommission zum Umdenken. Hatte sich der zuständige Steuerkommissar Algirdas Semeta zunächst lange Zeit als hartnäckiger Gegner der FTS gezeigt, der sich öffentlich sogar über die Willensbekundung des EP hinwegsetzen wollte, wurde nach einer gewissen Zeit ein Umdenken bei Semeta und Barroso erkennbar. Schließlich legte die Kommission endlich einen Vorschlag für eine europäische FTS auf den Tisch.

Allerdings nur einen Vorschlag. Denn über die tatsächliche Einführung können einzig und allein nur die Mitgliedsstaaten entscheiden. Und sie müssen sich einig sein. Denn in Steuerangelegenheiten hat das Europaparlament nichts mitzureden. Und das Veto auch nur eines Mitgliedsstaates bringt den ganzen Zug zum Stillstand. Und dass es zumindest ein Land geben würde, dass seine Finanzindustrie mit allen Mitteln schützt, war von Beginn an klar. Auf Großbritannien und seine europäischen Alliierten war Verlass.

Sollten sich jene Länder, die vom Sinn der FTS überzeugt sind, einfach damit abfinden, von den Gegnern und der Finanzlobby in Geiselhaft genommen zu werden? Eine (bisher erst zweimal genutzte) Bestimmung in den europäischen Verträgen versprach Abhilfe: die sogenannte „verstärkte Zusammenarbeit“. Unter gewissen Gegebenheiten können mithilfe dieses Instrumentes mindestens 9 Mitgliedsstaaten die Pionierrolle innerhalb der 27 Länder der Union übernehmen.

Nach langen politischen Verhandlungen war es diese Woche endlich soweit. Als die FinanzministerInnen sich Anfang der Woche trafen, lagen zwar nur von 7 Mitgliedsstaaten schriftliche Zusagen vor. Allerdings bekundeten während der Sitzung noch 4 weitere Länder, bei der Einführung der FTS Teil der Koalition der Willigen sein zu wollen. Immerhin: auch wenn es politisch wünschenswert gewesen wäre, zumindest alle 17 Länder der Eurozone mit an Bord zu haben. Die 11 Länder, die derzeit dabei sein wollen, repräsentieren rund 90% der Wirtschaftskraft der Eurozone, und das ist beträchtlich. Unter ihnen als Befürworter der FTS seit dem Anfang der gesamten Debatte: Österreich und die österreichischen Sozialpartner.

Ein langer und harter Kampf der ArbeitnehmerInnen kommt damit einem guten Ende näher. Die Kommission muss jetzt ihr grünes Licht zum Plan der bisher 11 Länder geben, die „Pioniere“ müssen sich noch auf die Details einigen, und dann bedarf es noch einer formellen Zustimmung der europäischen FinanzministerInnen. Vieles kann auf dem Weg dorthin noch schief gehen. Die Höhe des Steuersatzes und die Frage, auf welche Spekulationsprodukte die Steuer eingehoben wird, könnten beispielsweise noch verwässert werden. Und die Finanzlobby und ihre politischen UnterstützerInnen in einigen Ländern werden bis zum Ende ihre Torpedos einsatzbereit halten.

Umso bedeutsamer ist es, dass Gewerkschaften und ArbeitnehmervertreterInnen ebenso wie all ihre Verbündeten in der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung jetzt auf der Zielgerade nicht locker lassen. Erste Schritte gegen den schon längst ausgeuferten Casino-Kapitalismus, auch wenn sie zunächst noch klein wirken, sind das Gebot der Stunde!