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Mit beachtlichen Forderungen lässt ein Bericht des Europäischen Parlaments zum jährlichen Wettbewerbsbericht der Europäischen Kommission aufhorchen

In wenigen Bereichen sind die Kompetenzen der Europäischen Kommission so umfassend wie in der Wettbewerbspolitik. Die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission gilt als eine der schlagkräftigsten Waffen im Arsenal europäischer Politik. Jedes Jahr veröffentlicht die Kommission ihren sogenannten „Wettbewerbsbericht“, in dem sie die wichtigsten Entwicklungen des vergangenen Jahres darstellt. Dieser Bericht wurde im Juni des vergangenen Jahres von der Kommission veröffentlicht, und das Europäische Parlament hat wiederum diese Woche auf seiner Plenartagung in Straßburg seine Stellungnahme zu diesem Bericht mit sehr breiter Mehrheit angenommen.

In der Stellungnahme des deutschen Berichterstatters Werner Langen sind aus ArbeitnehmerInnensicht bemerkenswerte Forderungen enthalten. So wird darauf verwiesen, dass der Wettbewerbspolitik eine wesentliche Rolle zukommt, wenn es um die Bekämpfung von Sozialdumping zum Schaden der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen geht. Auch der Hinweis darauf, dass Wettbewerbspolitik nicht ausschließlich niedrige Preise im Visier hat, sondern darüber hinaus auch hohe Arbeits- und Umweltstandards fördern und besonderes Augenmerk auf die sozialen Auswirkungen legen sollte, ist eine sehr begrüßenswerte Abkehr von einer „Geiz-ist-geil-Kultur“, die nur allzu oft zulasten der Beschäftigten geht.

Auch die im Bericht enthaltene Forderung, dass europäische Wettbewerbspolitik darüber nachdenken sollte, wie europäische Unternehmen und damit auch Beschäftigte unterstützt werden können, um im globalen Wettbewerb zu bestehen, ist eine willkommene Abwechslung von der üblichen Dogmatik, die sich nur auf Billigstpreise stützt. Ebenso interessant ist die Forderung von Langen und Co. an die Kommission, zu untersuchen, ob ein Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass eine besonders hohe Zahl von PolitikerInnen und Ex-MinisterInnen in den Aufsichtsräten der Energieunternehmen vertreten sind, und den besonders oligopolistischen Strukturen der Energiemärkte in einigen Mitgliedsstaaten besteht. Weiters begrüßenswert ist der Hinweis auf die überragende Bedeutung der Netzneutralität, wenn es um fairen Wettbewerb auf den Datenhighways geht. Auch die Forderung an die Kommission, endlich europäisch und international dafür zu sorgen, dass europäische Airlines und Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie nicht durch unlauteren Subventionswettbewerb außereuropäischer Airlines unter die Räder geraten, kann nur ausdrücklich unterstrichen werden.

Besonders spannend wird der Bericht allerdings in einem von der Kommission relativ neu entdeckten Handlungsfeld, nämlich der Bekämpfung unlauteren Steuerwettbewerbs in einer unheiligen Allianz zwischen internationalen Multis und Nationalstaaten, Stichwort „Luxleaks“. Hier ist es seit vielen Jahren zu einer gravierenden Fehlentwicklung gekommen, die ebenso wie die unheilvollen Auswirkungen von Lohn- und Sozialdumping das gesamte europäische Einigungswerk in Frage stellen. Konkret geht es um Deals hinter verschlossenen Türen zwischen nationalen Finanzministerien und Multis, wo einigen ausgewählten Konzernen unter dem Siegel der Verschwiegenheit massive Steuererleichterungen versprochen werden. Diese Praxis untergräbt nicht nur die Budgets aller Mitgliedsstaaten, sondern bevorzugt auch die ohnehin schlagkräftigeren Multis gegenüber kleineren Unternehmen, die nicht in den Genuss dieser Sonderbehandlung kommen.

Nach jahrelangem Wegschauen hat, nicht zuletzt bedingt durch einen Aufschrei in den Medien, die europäische Politik und auch die Wettbewerbspolitik sich endlich dieses Themas angenommen. Konkret sind die neue dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und ihr Team, unterstützt auch durch eine aktive Beteiligung der AK, mutig gegen einige der eklatantesten Deals vorgegangen. Der Bericht des EP-Abgeordneten Langen unterstützt diese neue Politik der Kommission ausdrücklich als eines von mehreren Handlungsfeldern auf europäischer Ebene. Besonders aufsehenerregend in diesem Zusammenhang ist eine im Bericht enthaltene Forderung, die sich damit beschäftigt, wer die Strafgelder bekommen soll, wenn die Kommission unerlaubte Steuerbeihilfen aufdeckt.

Nach geltendem Recht fordert die Kommission den betroffenen Mitgliedsstaat, der bestimmten Unternehmen unlautere Steuervorteile gewährt hat, auf, diese Mittel von den Unternehmen wieder einzukassieren. Jüngstes Beispiel: Die Kommission hat am 11. Jänner 2016 entschieden, dass eine Steuervergünstigung Belgiens für ausgewählte Konzerne unrechtmäßig ist. Von dieser 2004 in Belgien eingeführten Regelung konnten 35 Multis profitieren. Die Kommission fordert nun Belgien auf, rund 700 Millionen EUR von den Unternehmen zurückzuverlangen. Das Problem in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass, wie man auch Medienberichten aus Belgien entnehmen konnte, die Mitgliedsstaaten, die sich ja immerhin diese Steuerdeals ausgedacht haben, keine besondere Motivation und Eile haben, das Geld von den Unternehmen zurückzuholen. Hier schlagen Langen und Co. in ihrem EP-Bericht eine interessante Neuerung vor: Die Strafzahlungen sollen nämlich nicht an den Mitgliedsstaat gehen, der solche Steuerpraktiken eingeführt hat, sondern stattdessen an alle anderen geschädigten Mitgliedsstaaten oder an das EU-Budget.

Bleibt nochmals zu erwähnen, dass der Bericht von Werner Langen mit 500 Ja-Stimmen zu 137 Nein-Stimmen bei 73 Enthaltungen von einer überwiegenden Mehrheit des EP über die Parteigrenzen hinaus getragen wurde.

Weiterführende Infos:

EP-Bericht Werner Langen

Bericht über die Wettbewerbspolitik

Report on competition policy

Presseaussendung KOMM zum „Excess Profit Scheme“ in Belgien