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In seiner Antrittsrede im Europäischen Parlament stellte Bundeskanzler Kurz am 03.07.2018 das Programm zur österreichischen Ratspräsidentschaft vor. Unter dem Motto „Ein Europa, das schützt“ vereint es drei Schwerpunkte: Migration, Digitalisierung und Nachbarschaftspolitik am Westbalkan. Aus Sicht der Arbeiterkammer fehlt allerdings der Schutz sozialer Standards mit Hinblick auf die europäischen ArbeitnehmerInnen.

 

Mit gewohntem Humor erinnerte Kommissionspräsident Jean Claude Juncker den österreichischen Bundeskanzler in seiner Eröffnungsrede mit einer Metapher daran, die europäische Perspektive zu wahren: Auch wenn er, Juncker, Wiener Schnitzel liebe, so gehöre auf den europäischen Tisch doch mehr als nur diese eine Speise. Implizit gemeint war damit wohl auch das Migrationsthema, das in Kurz´ Antrittsrede zum Ratsvorsitz eine prominente Rolle einnahm. Neben Digitalisierung und der Nachbarschaftspolitik am Westbalkan ist Migration einer der drei Programmschwerpunkte des österreichischen Vorsitzes, welcher gerade am 01. Juli 2018 begonnen hat und bis Ende Dezember andauern wird. „Ein Europa, das schützt“ so lautet das Motto der Ratspräsidentschaft.

 

Obwohl das Motto des „Schutzes“ sich auf eine große Zahl an derzeit offenen Gesetzesinitiativen beziehen lässt, ist es aus Sicht der Arbeiterkammer bedauernswert, dass vor allem der Schutz sozialer Standards – mit besonderem Hinblick auf Initiativen im Sinne der europäischen ArbeitnehmerInnen – nicht zu den Schwerpunkten des Ratsprogramms gehört. Mit keinem einzigen Wort findet die Europäische Säule sozialer Rechte in der österreichischen Programmschrift Erwähnung. Ebenso vergeblich sucht man die zentralen Kommissionsvorschläge zur Europäischen Arbeitsbehörde, zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf oder zu transparenten und verlässlichen Arbeitsbedingungen. Auch wenn der neue Ratsvorsitz die derzeit ca. 200 offenen Gesetzesinitiativen selbstverständlich nicht alle zum Abschluss bringen kann, so wäre es den europäischen ArbeitnehmerInnen gegenüber unverantwortlich, wenn diese wichtigen Dossiers in den Monaten vor der Europawahl im Mai 2019 und vor dem Abtreten der Juncker-Kommission unbeachtet liegen blieben.

 

Bemerkenswert an Kurz´ Rede vor der Plenarversammlung des Europäischen Parlaments war daher weniger das, was zu hören war, als vielmehr jenes, was unerwähnt geblieben ist. Positiv anzumerken ist allerdings, dass der Bundeskanzler die gerechte Besteuerung digitaler Unternehmen – im Sinne des „Schutzes“ der Wettbewerbsgleichheit gegenüber klassischen Firmen – als eine der Prioritäten des Vorsitzes hervorgestrichen hat. Unerwähnt blieben jedoch auch andere Schwergewichte im laufenden Gesetzgebungsprozess: So etwa die Kommissionsvorschläge zur Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftssteuer als immanent wichtige Initiative gegen Steuervermeidung oder der sogenannte „New Deal for Consumers“, der KonsumentInnenrechte auf europäischer Ebene erheblich verbessern könnte.

 

Die europäische Wirtschaft befindet sich zwar gegenwärtig in einer Phase des Aufschwungs, doch bei Weitem nicht alle Menschen in Europa profitieren davon. Langzeitarbeitslosigkeit, die Bedrohung durch Armut und soziale Ausgrenzung, die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sowie die steigende Ungleichheit sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der einzelnen Länder stellen den Ratsvorsitz vor besondere Herausforderungen. Ob die österreichische Regierung, die von Bundeskanzler Kurz als traditionelle „Brückenbauerin“ bezeichnet wurde, auch effektive Maßnahmen zu Überbrückung der wachsenden Ungleichheit in der EU setzen wird, ist aus dem Programm der Ratspräsidentschaft nicht eindeutig zu entnehmen. Die Arbeiterkammer hat in einem Memorandum für ein soziales Europa zentrale Bausteine dargestellt, die für eine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft 2018 aus Sicht der ArbeitnehmerInnen essentiell sind.

 

Weiterführende Links:

Memorandum für ein soziales Europa

Standard-Kommentar von Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl: Sicher sind wir nur mit sozialen Goldstandards

ÖGB-Resolution zum österr. Ratsvorsitz: Weichen für ein soziales Europa stellen – Kurswechsel jetzt