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ZurückDer Verordnungsentwurf über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt, den die Europäische Kommission im November 2017 vorgestellt hat, soll den Nah- und Fernbusverkehr weiter liberalisieren. Fernbusunternehmen wie Flixbus oder Eurolines würden dadurch ein grundsätzliches Zugangsrecht zum innerstaatlichen Verkehr und der öffentlichen Infrastruktur – allen voran den Busbahnhöfen - erhalten. Am 1. Februar 2018 fand im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (TRAN) eine erste, kontroverse Debatte statt, bei der Abgeordnete fast aller Fraktionen teils starke Zweifel bezüglich Mittel und Ziele des Vorschlags äußerten.
Der Verordnungsentwurf der Kommission über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt, der im Rahmen des zweiten Mobilitätspakets „emissionsarmer und wettbewerbsfähige Mobilität“ präsentiert wurde, sieht vier signifikante Änderungen zur gegenwärtigen Regelung im Personenfernverkehr vor: 1. ein grundsätzliches Zugangsrecht der transnationalen Busunternehmen zu Busbahnhöfen, das nur noch aufgrund fehlender Kapazität abgelehnt werden kann; 2. die Schaffung einer nationaler, unparteiischer (also nicht-ministerielle) Regulierungsstelle zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge am Personenverkehrsmarkt; 3. ein eigenes, gänzlich liberalisiertes Genehmigungsverfahren für den grenzüberschreitenden Personenverkehr über 100km ; und 4. die Möglichkeit für ausländische Unternehmen, ihren Service auch im städtischen Verkehr bzw. Verkehr in Ballungsgebieten durchzuführen.
Als Gründe für den Bedarf der Fernbusverordnung nennt die Kommission die im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern mangelnde Wachstumsrate des Fernbusverkehrssektors, den Rückgang des Anteils an Busverkehrsträgern, den „rechtlichen Flickenteppich“ der nationalen Märkte, wenig attraktive Reiseangebote für Fahrgäste sowie überzogene Verwaltungskosten und „diskriminierende Praktiken“ an Busbahnhöfen. Als vorrangige Ziele werden die Bekämpfung des Klimawandels, die Stärkung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sowie die Verbesserung der Mobilität für Bürgerinnen und Bürger betont.
Gleich alle vier Hauptlinien des Entwurfs beurteilten die Abgeordneten des TRAN-Ausschusses problematisch. Geschlossen kritisch zeigte sich die S&D-Fraktion: so erklärte etwa die spanische Abgeordnete Ayala Sender, dass eine zusätzliche Marktöffnung erst gar nicht nötig sei, da sich bereits heute Unternehmen aller Mitgliedsstaaten an öffentlichen Ausschreibungen im EU-Ausland beteiligen können. Der bulgarische S&D Abgeordnete Kouroumbashev wies auf die bestehende Gefahr hin, dass private Unternehmen die öffentliche Hand von jenen profitablen Streckenteilen drängen könnten, mit denen die Versorgung von nicht lukrativen Linien in strukturschwachen Regionen gegenfinanziert wird. Wachstumsraten und profitable Oligopole beim Busverkehr gebe es ohnehin bereits. Schließlich würden unter der neuen Verordnung auch die strengen Regeln umgangen, die sonst für Verkehrsdienstleistungen durch ausländische Unternehmen im Inland angewandt werden (sogenannte Kabotageregelungen z.B. für den LKW-Verkehr) – auch zum Schutz der ArbeitnehmerInnenrechte. Kouroumbashev hierzu: „LKW-Fahrer sind Arbeitnehmer, aber Busfahrer nicht?“
Auch bei den mitte-rechts Parteien zeichnete sich Skepsis ab. Besonders beanstandet wurde, wie auch von der S&D, die vermeintliche Nichtachtung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips – einer der strittigsten Punkte der Debatte. Der spanische EVP-Schattenberichterstatter de Grandes Pascual bezeichnete die Kommission etwa als „Elefant im Porzellanladen der Zuständigkeiten“, in punkto der geplanten Regulierungsstelle merkte er an, es sei „eine Zumutung der Kommission zu glauben, dass sie es besser kann“. Die Verordnung werde seiner Prognose nach wohl beim Europäischen Gerichtshof landen. Die ebenfalls aus Spanien stammende Schattenberichterstatterin Bilbao Barandica (ALDE) stellte die rhetorische Frage: „Nur, weil Deutschland und Frankreich von sich aus den Fernverkehr liberalisiert haben, sollen wir das auch tun?“
Auch die Kostenfrage zur öffentlichen Infrastruktur der Busbahnhöfe, zu denen Fernbusunternehmen der Zugang nur noch bei Überlastung, aber nicht bei der Unterschreitung nationaler Umweltkriterien verwehrt werden soll, erntete Kritik. Michael Cramer von den deutschen Grünen sprach etwa vom gänzlichen Verfehlen des „user-pays-principle“; die „Eisenbahn zahlt Maut und Stationsgebühr, Busse aber nicht“, so der Abgeordnete.
Die kommerzielle Logik der Fernbusunternehmen widerspricht aus der Sicht vieler Abgeordneter dem öffentlichen Auftrag, den sie laut Verordnungsentwurf dann auch in Ballungsgebieten und innerstaatlichen Strecken ab 100 km ausführen sollten. Der Tenor: Der Wettbewerb funktioniert nur auf lukrativen Linien, wodurch die übrigen Strecken des öffentlichen und halböffentlichen Verkehrs geschwächt würden. Dabei droht die Verschlechterung des Angebots auf weniger ertragreichen Strecken. Auch das Durchkreuzen der eigenen Kommissionspläne, für die umweltfreundlichere und sozialverträglichere Schiene „ein neues Kapitel“ aufzuschlagen, kommentierten einige TRAN-Abgeordneten kritisch. Die Liberalisierungspläne für den Fernbusverkehr - als laut Kommission umweltfreundliches und „sozialstes aller Verkehrsmittel“ - überzeugte die Mehrheit der Abgeordneten des Verkehrsausschusses somit nicht.
Position der AK
Auch die Arbeitskammer kann die Euphorie der Europäischen Kommission im Hinblick auf die vermuteten positiven Wirkungen einer weiteren Liberalisierung des grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrs nicht nachvollziehen. Weder sind die vorgegebenen Gründe für den Bedarf einer zusätzlichen Liberalisierung zutreffend, noch werden die angestrebten Ziele – Bekämpfung des Klimawandels, Stärkung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, Verbesserung der Mobilität für die Bürgerinnen und Bürger – mit der vorgeschlagenen Änderung der Verordnung erreicht.
Weiterführende Informationen
AK-Positionspapier zur Verordnung über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt
Verordnungsentwurf über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt
Kurzbericht des Wissenschaftsservice des Europäischen Parlaments (EPRS)