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Letzte Woche wurde in einer gemeinsamen Sitzung des Handels- und Frauenausschusses des Europäischen Parlaments diskutiert, inwiefern sich EU-Handelspolitik auf Geschlechterungleichheiten auswirkt. Die Feststellungen dazu sind unterschiedlich ausgefallen. Deutlich wurde allerdings, dass Handelspolitik nicht geschlechtsneutral ist, meist aber geschlechterblind. Und genau das soll sich in Zukunft ändern.

 

Die EU schließt viele Handelsabkommen mit unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zwecken ab. Nach dem auf EU-Ebene beschlossenem CETA-Abkommen mit Kanada werden derzeit unter anderem Abkommen mit Japan, China, Mercosur, Mexiko und Chile verhandelt. Diese Verträge wirken sich natürlich auch auf die EinwohnerInnen der beteiligten Mitgliedsstaaten aus. Sie haben Auswirkungen auf die Beschäftigung in einigen Sektoren oder verändern die Preise bestimmter Produkte. Häufig führen diese Abkommen aber auch zu mehr Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Nationale Gestaltungsspielräume werden gleichzeitig durch ein Protektionismusverbot eingeschränkt. Die Folgen, die Handelsabkommen damit für die Bevölkerung der betroffenen Länder haben, sind vielfältig und fallen je nach Ausgangssituation, beispielsweise dem Lohnniveau des Landes und existierenden strukturellen sozialen Ungleichheiten, unterschiedlich aus: Sie wirken somit nicht im luftleeren Raum.

 

Handelsverträge sind in der EU bisher ‚geschlechtsneutral' formuliert. Sie gehen damit nicht gesondert darauf ein, ob und wie sie sich, auf Basis bestehender Ungleichberechtigungen, unterschiedlich auf Frauen und Männer auswirken können. Das bedeutet aber vielfach auch, dass diese Abkommen eigentlich ‚geschlechterblind‘ sind, wie die Berichterstatterinnen Malin Björk und Eleonora Forenza der GUE/NGL-Fraktion feststellen. Auf Eigeninitiative des Europaparlamentes wird nun ein Bericht zu Geschlechtergleichstellung in EU-Handelsabkommen diskutiert. Vergangene Woche haben Expertinnen dazu gemeinsam mit einem Vertreter der Kommission in einer gemeinsamen Sitzung der zuständigen Ausschüsse darüber debattiert.

 

Handel an sich ist weder gut noch schlecht. Wie er sich auswirkt, hängt aber von der konkreten Ausgestaltung der Handelspolitik ab, so Marzia Fontana, University of London (SOAS). Sofern nicht auf private AnbieterInnen im Sozial- Pflege-, und Gesundheitswesen zurückgegriffen werden kann, führt die häufig damit verbundene Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Hochlohnländern dazu, dass auf Grund stereotyper Rollenzuschreibungen vor allem Frauen diese stattdessen übernehmen müssen. Darauf aufbauend betont Gea Meijers von WIDE+, dass geschlechtsspezifische Dimensionen von Handelspolitik nicht nur in Bezug auf Unternehmerinnen oder KMUs unter weiblicher Führung diskutiert werden dürfen. Handelsabkommen führen in Niedriglohnländern vielfach gerade in Exportbranchen, die wenig Qualifikationen erfordern, zu einer Feminisierung der Beschäftigung, die allzu oft mit weniger Gehalt, längerer Arbeitszeit und Ausbeutung verbunden ist. Gerade in Ländern des Globalen Südens sind, wie Mariama Williams vom Think Tank South Centre erläutert, sehr viele Frauen in kleineren landwirtschaftlichen Betrieben tätig. Wenn diese ihre Wettbewerbsfähigkeit auf Grund von Abkommen mit der EU und der darauffolgenden Handelsliberalisierung verlieren, sind besonders weibliche Arbeitnehmerinnen davon betroffen.

 

Standards, wie Gender in Handelsabkommen ausreichend berücksichtigt werden kann, gibt es bisher nicht. Die Vielzahl gerade verhandelter weitreichender Freihandelsabkommen macht diese allerdings dringend notwendig. Die Expertinnen haben hier angedacht, das Nachhaltigkeitskapitel um entsprechende ILO-Konventionen, wie die ILO-Konvention 189 zu ArbeitnehmerInnen im Haushalt, die Konvention 156 zu ArbeitnehmerInnen mit Familienpflichten oder CEDAW, zu erweitern. Alternativ ist die Erstellung eines eigenen Kapitels angeregt worden. Geschlechterspezifische Auswirkungen sollten aber jedenfalls in allen Verfahrensschritten und damit von der Erstellung bis zur Evaluierung der Abkommen mitgedacht werden, so die Expertinnen. Gerade im Falle von Liberalisierungsverpflichtungen ist darauf zu achten, dass die sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Frauen und sozial schlechter gestellten Gruppen generell gewahrt werden. Öffentliche Auftragsvergabe und Quotenregelungen müssen explizit ermöglicht werden, um Schieflagen auf staatlicher Seite vertragskonform begegnen zu können. Wie bei Umwelt- und anderen Sozialstandards dürfen Staaten nicht darum fürchten müssen, von großen Unternehmen auf Grund von gleichstellungspolitischen Maßnahmen verklagt zu werden.

 

Aus Sicht der Kommission muss sichergestellt werden, dass Handel tatsächlich für alle Vorteile bringt, wie das die globale Strategie ‚Handel für alle‘ anstrebt. Demnach ist eine Genderperspektive in Handelsabkommen notwendig und es werde bereits überlegt, so Tomas Baert, Vertreter der Kommission, für das Chile-Abkommen genderspezifische Dimensionen einzubringen. Am 20. Juni soll von der Kommission ein eigenes Forum zu dem Thema ‚Frauen und Handel‘ organisiert werden.

 

Weiterführende Informationen:

Blog Arbeit-Wirtschaft: Das alternative Handelsmandat: Eckpunkte einer gerechten EU Handels- und Investitionspolitik

AK EUROPA: Politische Maßnahmen sind nicht neutral – Austeritätspolitik trifft Frauen und Männer unterschiedlich

AK EUROPA: Frauentag am 8. März – und die 364 Tage danach?

AK EUROPA: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – wir wollen keine 70 Jahre mehr warten!

AK EUROPA: Wie sich der Welthandel und seine Ausgestaltung auf Arbeit und Umwelt auswirken

AK EUROPA: Bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsbranche sind dringend notwendig

FEMM Ausschuss: Studie: Gender Equality in Trade Agreements

Rat der EU: EU-Chile: Council decides to sign agreement on trade in organic products

Europäische Kommission: Overview of FTA and other trade negotiations